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Herr Möslein ist tot (German Edition)

Herr Möslein ist tot (German Edition)

Titel: Herr Möslein ist tot (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tatjana Meissner
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29. August 1989.
    »Aufgrund des übereinstimmenden Vorbringens der Parteien ist davon auszugehen, dass die Parteien vor Eingehung der Ehe nicht in genügendem Maße geprüft haben, ob sie aufgrund ihrer Charaktere, Lebensauffassungen und Verhaltensweisen und der Intensität ihrer Bindungen zueinander in der Lage sein können, ein gemeinsames Leben dauerhaft und harmonisch zu gestalten!« Sicher ist das ein Satz, der in fast allen der zu DDR -Zeiten vollzogenen Scheidungsurteile steht, aber er ist wahr. Hätte ich das Urteil schon damals genau gelesen, wäre mir viel Leid durch mein kontraproduktives Beuteschema bei der späteren Partnersuche erspart geblieben.
    Ich drehe mich um, und plötzlich wird mir klar, in welcher Situation ich mich gerade befinde: Ich bin zwar geschieden, habe das Erziehungsrecht für mein Kind und damit das Recht, in dieser Wohnung zu bleiben, aber Heinz wohnt auch noch hier. Im abgeschlossenen Schlafzimmer. Mit Balkon. Geschieden, aber keine Recht auf eine neue Wohnung für Heinz. Weil es zu wenige bewohnbare Wohnungen gibt. Diese hier haben wir selbst ausbauen müssen. Sogar den Schornstein haben Rudi und Heinz unter Einsatz ihres Lebens, einander mit dicken Seilen sichernd, neu gesetzt. Wie ein Gedankenblitz flitzt die Frage, ob daher das Wort »alte Seilschaften« rührt, durch mein Hirn. Obwohl das bei Rudi und Heinz garantiert nicht zutrifft. Aber wo ist Heinz, und wo ist meine Pauli? Und was mache ich, wenn ich sie treffe? Zur Bändigung meiner inneren Unruhe brühe ich mir einen Kaffee. Auf dem Gasherd koche ich Wasser im Pfeifkessel, übergieße den gemahlenen Rondo-Kaffee und stelle die Tasse vor mich auf den Küchentisch, der mit einer braun-geblümten Igelit-Tischdecke abgedeckt ist. Ich rauche eine, zur Gruppe der 3,20-er gehörende, »Kenton«-Rot. Die Schachtel samt Streichholzschachtel aus Riesa lag hier rum.
    Die Zigarette schmeckt unparfümiert, wie Cuba-Zigarren mit Filter. Ihr Rauch ist scharf und brennt im Mund wie der Ingwer-Tee, den mir Carsten beim kleinsten Anflug einer Erkältung immer kocht. Ich nehme einen Schluck meines türkischen Kaffees, den ich sonst nur bei Mama trinke, die an dieser Gewohnheit schon Jahrzehnte festhält, während ich auf Kaffeemaschine mit Pads umgestiegen bin. Ich kaue auf einem Kaffeekrümel und fühle ich mich wie auf einem Klassentreffen nach über zwanzig Jahren. Erst betritt man den Raum und denkt: »Ach Du Schreck, welche altbackene Häkeltruppe feiert denn hier?«, und am Ende des Abends sitzt man mit denselben Freunden zusammen wie früher, albert rum und erzählt sich Anekdoten, als ob kein Tag seit dem letzten Treffen vergangen wäre. Alles ist genauso selbstverständlich wie vor über zwei Jahrzehnten.
    Ich puste Kringel in die Luft und schaue aus dem Fenster. Das Licht der Minol-Tankstelle leuchtet hinter der »Schnellstraße Nuthestraße«, oder heute »Nutheschnellstraße«, hervor. Trotz des neuen Holz-Doppelfensters, das ich zum Putzen immer auseinanderschrauben muss, ist es – wegen der noch vorhandenen Baulücken im Häuserkarree – sehr laut. Meine Zigarettenspitze glüht hellrot in der Dämmerung. Ich muss ziemlich stark an meiner Kenton ziehen; die raucht sich nicht von allein, so wie die zielgerichtet auf hohen Umsatz und Steuereinnahmen produzierten Westzigaretten. Trotzdem würde ich jetzt lieber aufwachen und Marlboro rauchen. Was soll ich hier? Das habe ich doch schon alles hinter mir.
    Ich stehe auf und fasse auf die Abdeckung der Forsterheizung. Kalt! Heißt die nicht »Forster Etagenheizung«? Also Etagenheizung aus Forst? Carsten stammt aus Forst. Wie die Heizung. Ich habe Sehnsucht nach Carsten, und der Traum wird langweilig. Also hole ich die braune Handtasche aus festem Leder mit Magnetverschluss von der Flurgarderobe und lege alles, was ich darin finde, auf den Küchentisch: ein kleines weinrotes Portemonnaie, meinen Perso, meine Fahrerlaubnis, einen A6(oder DIN A 6)-Terminkalender, ein Stofftaschentuch mit Blumen drauf – wie witzig – und einen Autoschlüssel. Ha, stimmt. Ich habe einen Trabi. Auf dem Schild am Schlüssel steht: DY 66-54. Ich blättere in meinem Personalausweis. Auf dem schwarz-weißen Foto sehe ich beknackt aus. Ich bin ungeschminkt, die dunklen kurzen Haare hängen einfach glatt herunter und die karierte Wollbluse sieht nach Altkleidercontainer aus. Keine Lachfalte, kein gelebtes Leben im Gesicht.
    Im nächsten Jahrhundert geben etliche Frauen viel Geld dafür aus, jedes Zeichen

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