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Herr Möslein ist tot (German Edition)

Herr Möslein ist tot (German Edition)

Titel: Herr Möslein ist tot (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tatjana Meissner
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bekam das, was ich wenige Jahre zuvor schon einmal beantragt hatte und mir ohne Begründung verwehrt wurde: eine private Ausreise nach Westberlin zu Tantchens Geburtstag. Ich war und bin mir sicher, dass ich diese Reiseerlaubnis dem Jahr ’ 89 und Pauli zu verdanken hatte. Mit Jürgen hatte ich natürlich nichts Verwerfliches getan, aber ich hatte ihn tatsächlich getroffen. Im Auftrag eines Dresdner Bekannten sollte ich – dem mir bis dahin unbekannten – Jürgen ein paar Jesuslatschen mitnehmen. Die hatte er sich gewünscht. Aber woher kennt Heinz den Namen? Ich hatte Heinzi wegen seiner Eifersucht nie davon erzählt, auch nicht, dass ich mich mit Jürgen noch mal verabredet hatte. Woher …?
    »Heinzi, woher kennst du den Namen Jürgen Dornheim?« Ich spreche möglichst streng und gucke Heinz in seine vom Blauen Würger eingetrübten Augen.
    »Von Geli!«, lallt er.
    »Wer bitte ist Geli?« Ich spreche den Namen GELI möglichst zynisch und mit Betonung auf dem »i«.
    »Na ja, die habe ich kennengelernt. Die is nett.« Heinz guckt mich triumphierend an und wackelt mit dem Kopf. Er ist so erpicht darauf, mir mal so richtig zu zeigen, dass er ein geiler Hirsch ist, dass er munter weiterredet. »Und die hat noch einen Mann, und der is bei de Stasi, und da hatse mal nachgeguckt bei dir, und da stand, dass du und dieser Dornhirsch, also dass ihr euch getroffen habt!« Der Blaue Würger scheint Heinz ziemlich fest im Griff zu haben, und ich bin erstaunt, dass bei IM s Akten zu Hause auf dem Küchentisch rumliegen sollen, will das aber nicht hinterfragen, sondern zur Deeskalation der Situation beitragen. Darum erzähle ich so selbstverständlich wie möglich von Jürgen und meinem Jesuslatschenauftrag und muss nicht mal lügen, als ich mich dann über ihn lustig mache.
    »Weißt du Heinzi, der Jürgen, der ist zwar ganz nett, aber so ein Papasöhnchen. Selbstwert nur durch Papas dicke Brieftasche. Studiert mit einem ziemlich schlechten Abischnitt Jura und versucht, mit Hilfe seines Westgeldes bei Ossis Eindruck zu schinden. Der ist nüscht für mich. Schlipsträger. Pah!«
    Heinz blinzelt, und ich merke, wie sich sein vernebeltes Hirn quält, einen Gedanken zu formulieren und unfallfrei über die Lippen zu bringen.
    »Ahhh … sag mal … was issn ’ n Ossi?«
    Stimmt, nur Ostfriesen wurden 1989 Ossis genannt. Ich korrigiere mich zeitgemäß. »Entschuldige, muss ich wohl irgendwo im Westen aufgeschnappt haben. Ich meine natürlich DDR -Bürger!«
    »Un von wem hast du den Ring da?« Heinzi guckt verschlagen auf meine linke Hand. Da steckt, seit 2009, ein weißgoldener Ring von Carsten. Völlig verdattert verdecke ich ihn mit meiner rechten Hand. In meinem Hinterkopf blinkt eine Alarmlampe. Ich hole langsam und geräuschvoll Luft durch die Nase, greife Heinzis Glas und trinke. »Oahhh, schmeckt das eklig, das brennt!«, stöhne ich. Heinzi guckt aus geröteten Augen fragend auf das leere Glas und wieder zu mir. Dann stemmt er sich in die Aufrechte, stützt sich mit den Händen auf dem Tisch ab und guckt wie Alf, dem man den Umgang mit Katzen verbietet.
    »Ssss in Ordnung. Ich geh da ma.«
    Während Heinzi wankend die Küche verlässt, zünde ich mir mit zittrigen Händen die letzte Kenton aus der Schachtel an und versuche, meine Gedanken zu sortieren. Wenn ich Carstens Ring trage, muss es ein Traum sein, denn den hatte ich ’ 89 noch nicht. Wenn ich aber in einem Traum gelandet bin, müsste ich langsam aufwachen, denn länger als neun Stunden schlafe ich nie. Sollte ich also nicht bald aufwachen, muss dieser Zustand einen anderen Grund haben. Ich schenke mir einen Schluck des ungenießbaren, aber beruhigenden Blauen Würgers nach. Plötzlich sendet mein Großhirn klare Gedanken und eine alarmierende Erkenntnis: Ich bin – wie Sam – in meinen jungen Körper gebeamt worden, um mein Leben neu zu ordnen. Ist das möglich? Gibt es tatsächlich Quantensprünge, die in geheimen Laboren entwickelt wurden? Ich trinke den Schnaps und presse meine Augenlider so fest zusammen, dass sich flimmernde, bunte Bilder aus der Schwärze herausbilden. Meine Hypophyse empfängt Gehirnzellenmeldungen, die meine Zeitreise im Rahmen des Möglichen verorten. Ja, denke ich, im 21. Jahrhundert ist allerhand möglich. Die Menschen hier im ’ 89er Potsdam können sich gar nicht vorstellen, wie rasant sich Wissenschaft und Technik in den nächsten zwanzig Jahren entwickeln. Ich chatte ganz selbstverständlich mit der Gastmutter meiner Tochter

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