Herr Mozart wacht auf: Roman (German Edition)
ausgedrückt?«
Gernot streckte die Hand nach den Papieren aus, doch Michaelis’ Blick ließ ihn innehalten, und mit einem betretenen Gruß war er aus dem Büro verschwunden.
***
»Was ist das?«, fragte Wolfgang und besah sich müde die beiden großen Papierbögen mit grünen Strichen, fettenroten Ps und Ws, die Piotr an den Küchenschrank heftete, dorthin, wo zuvor die Frühstücksliste geklebt hatte.
»Ist Terminplan. Schreiben wir alle Engagements hinein, und wirst du nie mehr vergessen.«
»Aha.« Wolfgang trat näher, fuhr mit dem Finger die Spalten entlang. »Das ist aber der Donnerstag!«
»Ja, gehen wir wieder in vierte Bezirk, weißt du? Wo ist das japanische Klavier.«
»Hm. Da hätt ich sollen mit dem Adrian spielen und den anderen Herren …«
»Hörst du auf, Wolfgang, mit diese Leute immer, kannst du hingehen an freie Tage oft genug.«
Wolfgang wollte aufbegehren, doch Piotrs energisches Kopfschütteln ließ ihn verstummen.
»Schreibst du auch Klavierstunde rein, gleich.«
»Klavierstunde?«
»Ja, wo hast du gekriegt zwei Schülerinnen von Musikhändler!«
»Ja, ja. Gewiss.« Wolfgang schüttelte prüfend die Thermoskanne, goss dann einen Rest Kaffee in die Tasse mit den Gesichtern und begann, seine Kleider zusammenzusuchen.
»Wann machst du Stunde?«
»Hast du meine Socken gesehen?«
»Da, in Sessel, unter Zeitung. Hab ich nach Stunde gefragt.« Piotrs Hartnäckigkeit machte Wolfgang seufzen.
»Oh, der Tag ist noch nicht abgemacht.«
»Und? Musst du anrufen, Wolfgang!«
»Es braucht ein Siemens dazu.«
»Was?«
»Siemens. Zum Hineinsprechen, nicht wahr? Ich habe keines.«
»Kann ich nicht lachen über blöde Witze, heute.« Er wühlte in seinem schwarzen Rucksack, förderte ein kleines Siemens zutage und warf es auf einen Sessel. »Nimmstdu Nokia, Quatschkopf, und rufst du Schülerin an. Musst du mehr arbeiten, kannst du auch kaufen Telefon.«
Fasziniert griff Wolfgang nach dem winzigen Apparat. Er war kaum größer als sein Handteller und leuchtete so gespenstisch blau wie die Wände des
Blue Notes
. Behutsam strich er über die Tasten. »Te-le-fon?«
»Wo ist Nummer?« Piotr klang ungeduldig.
Wolfgang hob vorsichtig die Schultern und überlegte dabei fieberhaft, was Piotr meinen konnte.
»Hast du mir gezeigt Zettel mit Telefonnummer, da, in deine Chaos. Beige Zettel, weiß ich genau.«
Wolfgang erstarrte. Liebermanns Zahlenrätsel! Eine Ahnung stieg in ihm auf. Mit fahrigen Fingern durchwühlte er die Notenstapel, doch Liebermanns Kärtchen war nicht zu finden.
»Es … ähm, wird sich schon finden, Piotr, sei ohne Sorge, mein Freund.«
»Ohne Sorge, ohne Sorge! Mach ich mir immer Sorgen. Muss ich mir immer machen Sorgen, weil machst du keine. Machst du nur, was du willst, aber willst du nicht arbeiten.«
Wolfgang fuhr herum. Wer war dieser Piotr? Eine Prüfung? »Das ist gewiss nicht wahr, und der Herr im Himmel weiß, dass ich mich der Arbeit nicht versage! Jawohl, mancher Täge gar von früh bis spät am Komponieren bin! Es ist nicht meine Schuld, dass man für gute redliche Arbeit nicht bezahlt wird, so sie denn Vergnügen bereitet und der wahren Kunst zum Zwecke ist. Mir scheint indes, dass man sich des Geldes noch immer nicht eher würdig erweist, als bis man das Unliebsamste und Mühevollste verrichtet, wozu man imstande ist. Die Zeiten haben sich wahrlich nicht geändert. Doch ich mich nicht minder!«
»Wohin willst du? Hab ich Semmeln schon gekauft. Wolfgang!«
»Wo ich hingeh? Arbeiten werd ich gehen, und zwar rasch! Eh er mir’s mit noch einem seiner grünen Dekreterverbietet!« Wolfgang zeigte auf den Plan am Küchenschrank und griff nach seiner Jacke. »Oder hab ich um Erlaubnis zu fragen?« Er schraubte seine Stimme ins Falsett. »Bittschön, ehrenwerter gütigster Papa Piotr, darf ich wohl untertänigst auf Ausgang hoffen heute?«
Ohne eine Antwort abzuwarten, nickte er Piotr einen Gruß zu und verließ das Zimmer.
Mit der U-Bahn fuhr er geradewegs in die innere Stadt und lief durch die Gassen, bis er sich beruhigt hatte. Wozu sich grämen, der Reichtum eines ganzen Tages lag nun vor ihm ausgebreitet und füllte ihn alsbald mit wollüstigem Tatendrang, dass die Ideen ganz ungebremst auf ihn einstürzten. Hier war es ein offenes Fenster, aus dem Bässe dröhnten, dort der Höllenlärm einer Maschine, die sich wie ein tanzender Nagel in das Trottoir fraß und die harte schwarze Kruste aufwarf, dazwischen die jähen Fanfaren der Toyotas, Volvos
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