Herr Mozart wacht auf: Roman (German Edition)
seine Ideen vom Vormittag in noch kühneren Formen und bearbeitete schließlich den ganzen Flügel von tief unten, wo es dumpfte und dröhnte, bis hoch oben, wo es klirrte und schepperte, bis ihm auch das nicht mehr ausreichen wollte.
Nach einer Weile bemerkte er, dass eine Frau mit blondem Stubbelhaar und frechen hellen Augen unentwegtzu ihm herübersah. Ein angenehm aufgekratztes Gefühl machte sich in ihm breit, und er nippte etwa alle zehn Takte an ihrem Blick wie an einem Wein, der ihn allmählich beschwipste. Übermütig erging er sich in dissonanten Akkordfolgen, die er, sobald sie zu ihm sah, einfach unaufgelöst stehenließ.
»Hey!« Zwischen zwei Stücken klopfte ihm Czerny auf die Schulter, sein Gesicht schien noch dunkler als sonst. »Heute übertreibst du es aber ein bisschen mit deiner Akrobatik. Fahr mal ’nen Gang zurück, du überforderst ja die Leute.«
Wolfgang ließ seinen Blick durch das Gewusel der Gäste schweifen und verdrehte die Augen. »O gütiger Himmel, die Armen. Hab einer Erbarmen! Da könnt ihnen einer leicht etwas zu viel abverlangen, nicht wahr, auf dass sie ihre Ohren gebrauchen müssten – und das Hirn noch obendrein. O nein. Das wird nicht geschehen, mein liebster, bester Czerny, sei ganz und gar ohne Sorge.«
Wolfgang drehte ihm eine Nase hinterher und spielte leiernd den Donauwalzer. Seine Zähne schabten im Takt aufeinander. Als ein paar Gäste zu grölen anfingen, musste er wider Willen lachen und ließ sich schließlich in jene schlampig-weiche Phrasierung fallen, die sein Gemüt noch jedes Mal wieder zur Ruhe kommen ließ.
Die nächste halbe Stunde verbrachte er damit, über sämtliche Strauß-Walzer, die er auf Piotrs CDs gehört hatte, zu improvisieren. Während er die Musik achtlos aus seinen Fingern in die Tasten laufen ließ, grübelte er darüber nach, wie er die Erkenntnis, die ihn bei Singlinger ereilt hatte, auf eine Opera übertragen konnte.
Etwas ließ ihn aufhorchen. Jemand spielte ihm zu. Ein Saxophon! Wie lange antwortete er schon darauf? Als er hochsah, blitzten zwei helle Augen mit dem Metall um die Wette. Der ganze Raum schien ihm in Gold getaucht, und Ameisen krabbelten durch seinen Körper.
Sie spielte elegant und frech zugleich. Er warf ihr ein paar Töne hin, und sie fing sie auf, hantierte damit wie ein Jongleur und pfefferte ohne Vorwarnung zurück. Wolfgangs Atem ging rasch, er spürte, dass ein Lächeln auf sein Gesicht getreten war, das sich nicht fortwischen ließ, ein Grinsen beinahe; immer näher schickte er seine Töne, bis er glaubte, ihren Körper damit zu berühren. Dann wechselte er das Tempo, ließ die Musik zart ihre schlanken Arme streicheln und sanft über ihren Nacken fahren.
Sie sah Wolfgang an, unendlich lange, wie ihm schien, dann kehrte ihr Blick zu ihrem Instrument zurück, und ihr Mund zuckte kurz, als wolle sie lächeln.
Wolfgang rieb sich die Hände an seiner Jeans trocken. Schon setzte sie wieder an und forderte ihn mit den frechsten Tonfolgen. Wäre sie ein Mann gewesen, hätte er sich ein unbeschreibliches Gefecht mit ihr geliefert, doch stattdessen ließ er ihr aus Galanterie den Vortritt und stützte sie, wo er sie hätte herausfordern können.
Nach einer Weile hielt sie inne. »Fatigué?«, fragte sie spöttisch, und schon ihr Blick bewirkte, dass er sich älter fühlte, als er hätte sein sollen. Lange hatte er niemanden mehr Französisch sprechen hören, es schien aus der Mode geraten.
Er verneinte mit einem langsamen Kopfschütteln und fixierte dabei ihren Blick.
»Feierabend!« Czernys Stimme ließ den Moment platzen. Er hielt Wolfgang einen Umschlag hin. »Spielt zu Hause weiter, ich hab schon abgerechnet.« Wolfgang sah sich erstaunt um und bemerkte, dass der Laden leer und alle Stühle hochgestellt waren. Ohne den Blick von seiner Beute zu lassen, klappte er den Flügel zu, zagte aber aufzustehen. Als er sich endlich hinter dem Instrument hervorwagte, bemerkte er erleichtert, dass sie ihn nur um ein Geringes überragte. Sie sprach kein Wort, sah ihn bloß an und wies mit dem Kopf zum Ausgang. Als er ihr die Türaufhielt, streifte sie ihn mit dem Arm und überließ ihm einen Hauch ihres Parfüms, von dem er wusste, dass er es noch lange erinnern würde. Czerny rief irgendetwas hinter ihnen her, doch es gab nun ein Außerhalb, aus dem nichts mehr zu ihm hineindrang. Sie standen in der Nachtkälte, noch immer schweigend, dann lief er, ohne nachzudenken, neben ihr her.
Ab und an wandte sie ihm, im Schein
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