Herr Tourette und ich
Winston mir eine Eintrittskarte zu einem Hockeymatch der Oberliga. Der Betrieb, der seinen Würstchenhalter herstellt, sponsert Vålerengen Hockey, und so kommt er an kostenlose Eintrittskarten.
Ich gehe vier Stunden vor Beginn des Spiels hin. Ich will der Erste sein, der die Türschwelle zum Haupteingang passiert. Ich will nicht steckenbleiben, nicht beim ersten Oberligaspiel meines Lebens. Nach ein paar Stunden des Versuchens schaffe ich es rein, und ich bin zufrieden, ein geglückter Anfang eines glücklichen Abends. Als ich mein Sponsorenticket vorzeige, sieht mich der Kartentyp sehr erstaunt an. Er betrachtet meine Kleidung, mein langes Haar und nimmt meinen durchdringenden Gestank wahr. »Und von wem hast du das gekriegt?«, lächelt er ohne den Mund zu öffnen. »Von der Regierung«, antworte ich und er nickt mich mit saurer Miene durch. Zum Glück komme ich im dritten Versuch durch das Tor zur Eishalle.
Das Spiel ist phantastisch. Nicht die Liga – nichts kann sich mit Wayne Gretzky und Börje Salming in Toronto vergleichen –, sondern die Atmosphäre, die Geräusche, die Stimmen, die Musik, die Schläger auf dem Eis, klapp, klapp, klapp , die Zeitsignale, der Applaus, der Geruch von Rauch, Popcorn und Würstchen. Ich kriege einen Platz direkt oberhalb der Blueline. Die Zeit plätschert dahin und ich mit ihr. Ich kann mich nicht erinnern, wann es mir das letzte Mal so gut ging.
Später bekomme ich noch mehr Eintrittskarten zu Spielen. Ich freue mich auf die Spiele, es ist völlig egal, welche Mannschaft gewinnt, schon dort zu sein ist ein Sieg – für mich.
Ich wache davon auf, dass mein Körper juckt. Auf den Armen, unter der einen Brust, auf der Innenseite der Oberschenkel, wie doppelte Mückenstiche. Ich hebe mein gelbschwarzes Synthie-Hemd hoch und betrachte Bauch und Arme und Brust. Braune Flecke, größer als Muttermale, kleiner als Leopardenflecken. Ich weiß nicht, was das ist. Ich glaube nicht, dass es gefährlich ist, also warte ich. Warte mal ab.
An einigen Tagen in der Woche gehe ich zu dem Zimmer zurück, das ich gemietet habe. Manchmal übernachte ich dort, andere Male tue ich so, als würde ich Sachen holen oder bringen. Es stinkt immer noch nach Urin im Zimmer, und ich glaube nicht, dass die alte Dame seit der Geschichte mit der Katze noch einmal drin war. Wahrscheinlich schämt sie sich immer noch für die Unart des Tieres. Niemand hat angerufen, niemand hat versucht, mich zu erreichen. Das hatte ich auch nicht erwartet. Ich will die Post haben, der Brief mit dem Psychologengeld liegt da und wartet, dazu auch diverse Urlaubsgelder von diversen Arbeitgebern sowie Reklame für tontechnische Aufnahmegeräte, jetzt zum Preis von nur 23.000 Kronen exkl. Steuern . Ich brauche Geld für Wurst und Saft, Rippchen und ein Paket Knäckebrot. Also nehme ich die Urlaubsschecks mit und den Brief von Mama und Papa. Ich würde mich schämen, wenn ich das Psychologengeld für Wurst anstatt für Psychologen ausgeben würde, deshalb verstecke ich das Geld im Auspuff des Chryslers und warte darauf, dass der richtige Psychologe auftaucht.
Ich rede ziemlich viel mit mir selbst. Ich gewöhne mich an meine eigene Stimme, und andere Stimmen verwirren mich. Winston ist der Einzige, mit dem ich rede, und er ist der Einzige, der mit mir redet. Inzwischen kriege ich so gut wie jede zweite Wurst umsonst, deshalb kann es nicht sein, dass er des Geldes wegen mit mir redet. Ich merke, dass ich unfreiwillige, aber schöne Tics rauslasse – ich blubbere drauflos, hierhin und dorthin, vor und zurück. Die Menschen in der Wurstschlange glotzen mich an, ich glotze zurück, einige lächeln, ich lächele zurück. Ich schere mich nicht mehr so viel darum, schließlich kann ich es doch nicht ändern. Ich lasse die Energie heraus, merke, dass ich mich nicht die ganze Zeit unter Kontrolle haben kann, aber mindestens einmal täglich fühle ich mich wie ein Idiot, ein Freak mit einer Wurst im Maul.
Alternativ elektrisch
Also esse ich meine Würstchen und plaudere und ticse mit Winston, während er die Würstchen für die immer länger werdende Schlange zubereitet. Um die Mittagszeit ist die Schlange immer ziemlich lang, und dann gegen halb zehn noch mal, wenn die Kinos zumachen.
Ein ziemlich kleiner Mann mit schwarzen Lederschuhen und einem etwas verlebten Gesicht stellt sich neben mich. Ich schätze, dass er so um die vierzig ist, und er färbt seine Haare mindestens einmal im Jahr. Er stellt sich direkt neben mich
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