Herr Tourette und ich
ein ewiges Hupen und Jaulen, das im Kopf weh tut, wie ein Zementmischer ohne Zement immer weiter mahlt. Ich würde so gern in eine Buchhandlung oder einen Plattenladen gehen, um ein klein wenig Stille zu haben. Aber ich wage es nicht wegen des Risikos, an den Türschwellen hängen zu bleiben. Ich hasse mich selbst, wenn ich auf diese Weise festsitze. Dieses verdammte Fliegenklebepapier setzt sich wieder im Gehirn fest, und ich kriege Panik, dem Körper geht es schlecht, und am allerliebsten würde ich in ein akutes Koma fallen. Da kann ich ebenso gut zur Fabrik zurückgehen und mich im Auto ausruhen. Ich gehe ohne Unterbrechung zwei Stunden lang, nehme Abkürzungen über Wiesen, fahre eine Station schwarz und lande gegen sieben Uhr auf dem Rücksitz. Es ist niemand da gewesen. Die Autotür steht in derselben Position, Knäckebrot, Saftpaket und Rippchen liegen noch in der Ledertasche unter der Rampe.
Ich verspüre ein gewisses Unbehagen im Bauch, bestimmt von der langen Wanderung. Vielleicht bin ich auch hungrig, das spüre ich nicht, sondern es ist mehr der Magen, der mich daran erinnert, wenn er hungrig ist. Mit dem Geruch ist es genauso – ich stinke, aber spüre den Gestank nicht. Ich nehme ein Paket Saft mit und gehe ein paar Meter, fünfzig vielleicht oder hundert, in den Wald hinein. Ich nehme einen großen Schluck von der Flüssigkeit, beuge den Kopf vor und zurück, knie mich unter eine Tanne – und kotze. Wie schön – Zucken im Bauch, Geräusch . Ich schaue nach Klümpchen oder Essensresten in dem Teig unter mir, finde aber nichts, nur Suppe. Und die gelbgrüne Flüssigkeit breitet sich unter mir aus und gleicht einer Übersichtskarte von Australien.
Ich esse fünf Stück Knäckebrot mit Butter. Das hilft erstaunlich gut. Zehn Minuten später fühle ich mich wie ein neuer Mensch, zumindest ein satter Mensch.
Beim dritten Versuch schaffe ich es in den Chrysler, noch ein Erfolg. Ich springe direkt auf den Rücksitz. Der lehmige Regen ist in Schuhe und Strümpfe gedrungen. Ich gehe nicht das Risiko ein, die Schuhe auszuziehen, jetzt kurz vor dem Schlafen will ich nicht in einem Ritual festsitzen, also ziehe ich die Strümpfe aus dem größten Loch in der Sohle. Ich wringe Wasser und Schweiß aus dem Strumpf und hänge ihn zum Trocknen auf das Lenkrad. Ich ziehe die Schuhe aus, behalte aber die Ferse drin, auf diese Weise habe ich die Schuhe nur fast ausgezogen und erspare mir das komplizierte Schuhritual morgen früh. In der Rückenlehne des Fahrersitzes ist ein großes Loch, in dem eine gute Polsterung sitzt, sicher schon seit den Fünfzigerjahren. Ich stecke Schuhe und Füße in das Loch, und das wärmt gut, gibt eine stabile und effektive Wärme, die meinen ganzen Körper zu umarmen scheint. Allen Schwierigkeiten zum Trotz schlafe ich nach ein paar Stunden ein.
Am nächsten Tag habe ich Probleme, aus dem Auto zu kommen, doch nach einer Stunde gelingt es mir recht elegant. Ich setze mich auf die Motorhaube und nehme mein Frühstück ein – Knäckebrot mit Butter und etwas Saft. Das Handschuhfach wird meine Speisekammer. Dort bewahre ich Knäcke, Saft, Rippchen und eine Serviette auf.
Die Schuhe fallen langsam auseinander, die Löcher fressen die eine Sohle auf, was bedeutet, dass die Unterseite des Fußes bald direkten Kontakt zum Asphalt haben wird. Die einzige Methode, mich gegen den Regen zu schützen, ist, eine doppelte Lage Plastiktüten über den Schuh zu ziehen. So wird der Fuß nicht feucht, aber vor allem hindern die Tüten die Ansteckung, über Asphalt und Regen in Schuh und Fuß zu kriechen.
Auf der Rückseite der Fabrik stehen drei grüne Container voll mit altem Müll. Ich suche nach einem Tablett oder einer Servierschüssel, das wäre im Auto praktisch. Stattdessen finde ich eine Krücke. Eine glänzende, metallfarbene Krücke. Zucken im Bauch . Die Krücke kann ich als Stütze benutzen. Ich habe den einen Fuß und den Schuh in Plastiktüten und benutze die Krücke beim Gehen als Stütze. So erspare ich mir die Blicke, werde nicht verurteilt, jetzt sehen alle, dass ich einen verletzten Fuß habe und an Krücken gehen muss. Vielleicht ernte ich sogar Sympathie, habe die Möglichkeit, neue Menschen kennenzulernen. Ich ziehe die Plastiktüte über den einen Fuß und probiere die Krücke aus. Ich gehe über nassen Asphalt, durch kleine Pfützen, stecke den Fuß in eine Regentonne – perfekt, kein Tropfen dringt durch die Plastiktüte. Ich übe auch ein wenig, mit der Krücke
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