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Herr Tourette und ich

Herr Tourette und ich

Titel: Herr Tourette und ich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pelle Sandstrak
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berühren, wäre das gleichbedeutend mit einer Disqualifizierung.

    In diesem Moment denke ich nicht viel an das Känguru, und ich glaube auch kaum, dass ich groß in seiner Gedankenwelt vorkomme, denn er ist vollauf damit beschäftigt, die Arbeiten zu korrigieren. Außerdem hat er in der letzten halben Stunde kein einziges Mal meinen Namen gesagt, was schon ein gutes Zeichen ist.

    Stenmark bereit … da fährt er los … das erste Tor, das zweite, ausgezeichnet, hält eine gute Linie, stabil im Rhythmus, au, ein wenig zu weit nach rechts, aber er kann die Spur halten … und die Zwischenzeit zeigt … achtzehn Sekunden … eine Sekunde schneller als Franz Klammer … und er macht in demselben Rhythmus weiter, das dreizehnte Tor, jetzt zum Ziel, vierunddreißig Sekunden, fünfunddreißig und … JAAAA … das ist die Führung, Ingemar Stenmark aus Schweden …

    Alle in der Klasse scheinen mich anzuschauen. Auch Känguru. Dann korrigiert er weiter die Arbeiten, während die anderen sich wieder ihren Dreiecken und Rechtecken zuwenden.

    Vor dem Ende der Mathestunde schaffe ich noch ein paar weitere Läufe. Der Norweger Odd Sörlie und der Italiener Pablo Picasso. Ingemar siegt überlegen vor Picasso, während Franz Klammer einen sensationellen dritten Platz belegt – seine erste Medaille überhaupt im Slalom, normalerweise ist er Abfahrer. Leider schaffe ich es nicht mehr, ihn zu interviewen, nicht jetzt im Ziel. Wir müssen mit dem Interview bis zur nächsten Doppelstunde warten. Jetzt hat auch noch das Känguru angefangen die Mathearbeiten auszuteilen, die er in Rekordzeit korrigiert hat. Das könnte ein gutes Zeichen sein, vielleicht habe ich es trotz allem geschafft.

    Ich warte, nicht gespannt, aber doch ein klein wenig erwartungsfroh. Doch, ich denke schon, dass ich so zwei bis neun Volltreffer gelandet habe. Wenn die ganzen x, z und y nicht gewesen wären, dann hätte ich vielleicht sogar noch mehr Volltreffer, was mich wiederum direkt für die Seefahrtschule qualifiziert hätte, was mir wiederum schon für das nächste Jahr einen festen Platz an Bord eines der Schiffe von Simen verschafft hätte. Wenn nicht all die x, z und y gewesen wären, dann wäre das hier ein Durchbruch geworden, zumindest ein kleinerer. Also, auf alle Fälle lief es nicht ganz schlimm.

    »Wir müssen uns nach der Stunde noch mal unterhalten«, lächelt mir das Känguru zu. Er gibt mir die Mathearbeit, aber es gelingt mir nicht, sie in der Luft aufzufangen, und so landet sie schwer auf der Tischplatte vor mir, wie klebrig gelber Schneematsch. Zufällig landet sie so, dass sie in der Mitte aufgeschlagen wird, so, dass sich mir die ganze Katastrophe offenbart. Ein Ekelgefühl macht sich im Körper breit. Ich fange an zu zittern oder mich zu schütteln oder zu frieren. Ein Zittern, das sich in Schweiß verwandelt, der sich in Blut verwandelt, das sich in Ansteckung verwandelt, die in Tod und Verderben endet. Ich starre. Kann mich nicht rühren. Der Schneematsch ist an der Tischplatte festgefroren, wie ein toter Körper unter einem großen, schweren Lastwagen – Zucken im Bauch, Geräusch . Alles liegt vor mir, der Beweis, von jetzt an kann mich niemand mehr auf andere Gedanken bringen, meine Theorie stimmt, die Gedanken stimmen, die schlimmsten, ekligen Gedanken stimmen: Das Känguru hat meine halben x, z und y korrigiert, indem es die fehlenden Stücke mit Rotstift hinzugefügt hat.

    Ich bleibe sitzen. Das Känguru wollte mit mir reden, scheint das Gespräch aber vergessen zu haben. Aber das ist auch nicht das Problem. Das Problem liegt vor mir, die Katastrophe selbst. Ich kann die Arbeit, die so viel rote Farbe, also Blut und Ansteckung und Tod enthält, nicht in die Hand nehmen. Als die anderen weg sind, nehme ich die Arbeit mit den Handschuhen. Dann mache ich mich schnell auf den Heimweg. Aber diesmal wähle ich einen anderen Weg. Ein paar hundert Meter hinter der Schule biege ich ab und gehe weiter zum Fluss hinunter. Dort unten ist es glatt, spiegelglattes Eis, ich muss mich festhalten, sonst werde ich, noch ehe ich selbst etwas zu essen bekommen habe, zu Fischfutter. Ich setze mich auf einen großen Stein, der Schnee dringt durch die Hose, trifft auf den Hintern, und nach nur einer Minute fange ich schon an zu frieren, ekliger Schneematschscheiß . Ich betrachte die Mathearbeit, den Fluss, die Handschuhe.

    Rote Farbe = Blut = Ansteckung = Tod = die Mathearbeit ist angesteckt

    Ich denke an die Worte des Kängurus: »Nehmt die

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