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Herr Tourette und ich

Herr Tourette und ich

Titel: Herr Tourette und ich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pelle Sandstrak
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acht den Bus zum Hof, arbeite dort wie ein Verrückter bis um fünf, dann fahre ich mit dem letzten Bus in die Stadt, zum Bahnhof, zu Rippchen und Saft, und dann kommt der Nachtzug um eins.

    Dank des kostenlosen Mittagessens geht es meinem Magen besser, und die Müdigkeit nimmt ein wenig ab. Ich stecke mir als Reserve immer etwas vom Mittagstisch ein. Die Reserve dient dann als Abendessen oder am nächsten Tag als Frühstück am Bahnhof, ehe ich wieder mit dem Bus zum Hof hinaus fahre. Und so vergeht die Woche, Tag um Tag.

    Es passiert, dass ich mehrmals in der Woche demselben Schaffner begegne. Er sieht mich ein wenig verwirrt an, aber vielleicht glaubt er auch, dass ich ein lebender Zugmaniac bin – da sitzt der Mann, der mit einer Interrailkarte reist, mit der er den größten Teil unseres aufregenden Europas ansehen könnte, stattdessen fährt er sieben Tage die Woche nachts nach Hallsberg und zurück.

    Auf dem Hof arbeite ich für zwei und schwitze für drei. Platen, der Bauer, hält mich für seriös und willig, und gibt mir den Lohn bar auf die Hand, und dazu noch einen Klaps auf die Schulter. Ich habe meinen Arbeitsrhythmus gefunden – je schwerer die Luft, desto weniger Zwänge, je länger die Pausen, desto mehr Rituale. Der Radiowecker hält mich wach. Wieder einmal ist das Radio zu meinem Copiloten und Steuermann geworden, es hält mich in den meisten Dingen auf dem Laufenden. Ganze Tage lang höre ich Radio, vor allem während der Arbeitszeit. Es beruhigt mich, und ich bin nicht so gestresst und verheddere mich auch nicht so leicht in den Gedankenwirren, wenn es leise im Hintergrund murmelt. Ich höre zu, ohne eigentlich zuzuhören. Vielleicht ist es die schöne Sprache, die mich beruhigt, vielleicht auch die Gespräche oder die gute Routine, die mir ein Gefühl der Zufriedenheit vermitteln. Musik hingegen stört mich und Hits haben die gegenteilige Wirkung. Ich beginne den Tag damit, dass ich die Morgennachrichtensendung von P1 anhöre, die um sechs beginnt und bis neun geht. Dann kommt das Vormittagsprogramm »Der Radioapparat«. Gegen zwölf beginnt »Mittagstext«. Zwischen eins und drei drehe ich die Lautstärke runter. Ich wage nicht, das Radio auszuschalten, um nicht in ein ewig langes Ritual zu geraten, wenn ich es wieder einschalten will – und wahrscheinlich würde das Radio dabei auch noch kaputt gehen, und ich stünde plötzlich ohne Steuermann und Copilot da. Also gehe ich das Risiko, das Radio auszuschalten, nicht ein. Da soll es lieber von selbst kaputtgehen und eines natürlichen Todes sterben. Gegen drei Uhr liege ich auf dem Rücken in der Kartoffelscheune, ruhe mich aus und warte auf »Nach drei«. Das Programm läuft bis um sechs, wenn ich mich langsam darauf vorbereite, den Hof zu verlassen. Um sieben Uhr beginnt »Hockeyextra« in der Sportsendung. Wenn mir die Kommentatoren zu sehr schnauben, wechsele ich zu P1 und »Radiotheater« zurück. Ich absolviere eine Art Slalomlauf zwischen den Kanälen. Das ist eine gute Routine, die mich auf bessere Gedanken bringt, wenn ich anfange, schlechtere Gedanken zu denken. »Nach drei« gefällt mir am besten, denn es läuft zu der Zeit des Tages, wenn Tics und Zwänge sich am stärksten bemerkbar machen. Ich finde, dass die Stimme des Moderators Ulf Elfving beruhigend wirkt, ja, mehr als das: Seine Stimme strahlt ein Gefühl der Sicherheit aus. Also höre ich ihn jeden Tag, weniger wegen der Inhalte, sondern hauptsächlich, um die Gedanken eine Zeitlang ruhen zu lassen und etwas Ungefährliches zu entdecken, worauf ich mich konzentrieren kann.

    Ich traue mich nicht, bei der Arbeit auszuruhen, und deshalb bin ich abends so schrecklich erschöpft. Ich fühle mich völlig erledigt und würde am liebsten auf dem Hof schlafen, wo auch immer, die Kartoffelscheune wäre wunderbar. Aber ich pendele weiter. Die Reise ist sehr anstrengend und kommt mir manchmal völlig sinnlos vor. Aber wenn ich da im Zug sitze und die Augen schließe, dann sehe ich doch einen gewissen Sinn in dem Ganzen – bald wird all das vorüber sein, bald wird es mir besser gehen, ich werde gesünder sein, eine eigene Wohnung haben, ein Haus, und einhundertvierunddreißig Stunden ohne Zwangshandlungen schlafen. Bald. Manchmal erwäge ich, mich noch einmal in der Pension einzumieten, aber das macht mich nicht sonderlich an, hat kein Gefühl von Harmonie hinterlassen. Die verdammte Klingel war es, die mich aus dem Rhythmus geworfen hat. Ich denke an andere Hotels oder

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