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Herr Tourette und ich

Herr Tourette und ich

Titel: Herr Tourette und ich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pelle Sandstrak
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gigantisch. Der Bauer selbst ist ein ziemlich kleiner und fülliger und ernster Typ, eine etwas rundere und haarlose Version von Robert de Niro. Er ist konkret, scheint meine Kleidung oder mein Aussehen nicht weiter zu verurteilen und sagt, es gehe um drei Wochen Arbeit mit möglicher Verlängerung. Er fragt, wo ich die Anzeige gefunden habe, ich antworte in der Citykonditorei, was er offenkundig gut findet. »Ich hatte schon Angst, der Zettel wäre bei der Arbeitsvermittlung gelandet. Dann hätte ich nämlich Arbeitgebersteuern und Sozialabgaben abdrücken müssen, und das hätte eine Menge Zeit- und Geldverschwendung für einundzwanzig Tage Arbeit bedeutet. Wenn du nichts dagegen hast, dann kriegst du das Geld, siebenhundert Kronen, einmal in der Woche bar auf die Kralle.«

    Ich habe nichts dagegen.

    Er führt mich auf dem Hof herum – Pferde, Traktoren, Boote, Werkstatt, Silos, Kartoffelscheune. Es scheint viele Beschäftigte zu geben, in jedem Gebäude und hinter jedem Traktor tauchen neue Gesichter auf.

    Arbeitsaufgabe 1: Die Kartoffelscheune für die Kartoffelernte vorbereiten.

    Arbeitsaufgabe 2: Helfen, die Kartoffeln abzuladen.

    Arbeitsaufgabe 3: Diverses.

    Ich fange mit dem Vorbereiten der Kartoffelscheune an. Dazu benutze ich einen riesigen Schlauch mit einem dicken Duschkopf, der ganz sicher für das Waschen von Elefanten konstruiert ist. Ich spüle alles ab, wische es von Hand auf, schrubbe weiter, spüle wieder, wische. Den Mantel habe ich ausgezogen und an die Wand gehängt, Schuhe und Hemd behalte ich an. Der Bauer bittet mich, besondere Schutzstiefel zu tragen, aber ich fürchte, im Schuhritual festzustecken, das auszuführen sicherlich ein paar Stunden dauern würde, was mir einen sofortigen Rausschmiss brächte. Ich gehe auf die Knie, rolle unter Maschinen und Paletten, wasche und scheuere und spüle, klettere zur Decke hinauf, spüle die Ecken aus, arbeite so frenetisch, als gäbe es keinen nächsten Tag. Und es funktioniert. Der Körper hält mit, er ist zäh und stark und widerstandsfähig. Seit mehreren Monaten habe ich kein anständiges Abendessen mehr zu mir genommen, aber dennoch verspüre ich die Kraft und den Drang zu arbeiten. Es ist fast, als würden die Zwänge mit dem manischen Tempo des Körpers nicht mithalten können. Ich betrüge die Gedanken und die Rituale, ohne mich selbst zu betrügen. Hoffe ich.

    Das Mittagessen stellt der Hof. Und ich esse wie ein Besessener – Schinkenbrote, Birnen, Bratkartoffeln, Tomaten, weißes Brot. Ich esse zu viel, ebenso intensiv wie ich arbeite, der Magen kann so viel Nahrung auf einmal nicht vertragen, nach dem Mittagessen muss ich hinter ein altes Traktorwrack rennen und versuchen, das Essen auszuspucken. Ich lerne, die Nahrungsaufnahme zu begrenzen, vermeide säurehaltiges Essen und zu viel Fett. Das schafft der Magen einfach nicht.

    Nach dem Mittagessen arbeite ich weiter, wie besessen und effektiv. Als der Arbeitstag gegen fünf Uhr zu Ende geht, bitte ich darum, noch eine Stunde zusätzlich arbeiten zu dürfen, aber der Bauer ermahnt mich, langsam zu machen. »Du hast doch noch zwanzig Tage«, sagt er belustigt.

    Ich will vor allem die Zeit rumbringen, der letzte Bus in die Stadt geht in anderthalb Stunden, und der Nachtzug verlässt die Stadt nicht vor ein Uhr.

    Also setze ich mich in einen alten Campingstuhl hinter der größten Scheune und lese in »Peer Gynt«. Sie haben mich gebeten, eine Szene auszuwählen, einen Monolog. Ich merke langsam, dass physische Arbeit hilft, die Zwänge ein wenig auf Abstand zu halten, je härter ich arbeite, desto ruhiger fühle ich mich. Also sollte ich eine körperlich möglichst anstrengende Szene auswählen. Und so finde ich eine ziemlich manische Szene, in der Peer Gynt von den Leuten aus dem Dorf gejagt wird, nachdem er mit der Braut Ingrid abgehauen ist, die einen seiner ärgsten Feinde heiraten sollte. Er schreit und spuckt und schimpft. Perfekt. So eine Szene wird zumindest während des Vorsprechens die Zwänge und Rituale in Schach halten.

    Ich nehme den letzten Bus in die Stadt und merke, wie ich von einer wahnsinnigen Müdigkeit erschlagen werde. Ich schlafe im Bus, auf der Parkbank, auf dem Bahnsteig, im Wartesaal. Als der Nachtzug kommt, bin ich so müde, dass ich nur ein paar Minuten ritualisieren muss, und schon finde ich einen Fensterplatz und schlafe augenblicklich ein. In Hallsberg werde ich geweckt, nehme den Nachtzug in die Gegenrichtung, wache um sechs Uhr auf, nehme um halb

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