Herr Tourette und ich
Gynt«, unterbreche ich sie.
Die Frau sagt, dann solle ich am nächsten Freitag um zehn Uhr dorthin kommen und vor einer aus fünf Personen bestehenden Jury vorsprechen.
Auch bei dem Bauernhofjob rufe ich an. Der Mann scheint ein netter Bauer zu sein, und ich darf gern auf den Hof rauskommen und gern in einer Woche anfangen zu arbeiten. Aber ich will schon am nächsten Tag anfangen. »Ausgezeichnet«, antwortet er da, »du bist herzlich willkommen. Kannst du Trecker fahren?«, fragt er, »oh ja«, antworte ich.
Es läuft super. Die letzte halbe Stunde hat mir einen Job beschert und die Möglichkeit, eine Aufnahmeprüfung zu absolvieren, die mir ihrerseits wieder einen Job und Erfolg und Geld bringen kann. Ich habe sogar Lust, zu Hause anzurufen. Inzwischen ist es schon eine Weile her, dass ich mich gemeldet habe, und vielleicht haben sie die alte Dame angerufen und nach mir gefragt und von dem Brief und der Miete und der Kündigung gehört. Mama fragt mich:
»Wie geht es dir, du hast ja eine Weile nichts von dir hören lassen!«
»Alles supergut, nur grade ziemlich viel zu tun …«
»Was machst du denn grade?«
»Ich … vielleicht fange ich mit der Schule an.«
»Schule?«
»In Schweden.«
»Wie?«
»Die Theaterschule.«
»Jetzt halt mal … wo bist du denn grade?«
»In Schweden. Werde bald unten in Göteborg eine Aufnahmeprüfung machen.«
»Dein Bruder wird dich heute in deinem Zimmer besuchen.«
»Dann sag ihm, dass er nicht hingehen soll, ich bin schließlich hier. Alles ist in Ordnung … muss jetzt auflegen, habe nur vier Einkronenstücke. Ich rufe bald wieder an …«
»Wir können doch dich anrufen …«
»Rufe bald wieder an, tschüss!«
Und wieder verspüre ich diesen Druck auf der Brust, den Klumpen, der nicht verschwinden will, der Klumpen, der immer nach den Anrufen zu Hause da ist. Plötzlich bin ich traurig, es fällt mir schwer, mich über meine neu gewonnene Energie und meinen Flow zu freuen. Vielleicht sollte ich anrufen und sagen, dass ich aus dem Zimmer ausgezogen bin, dass ich es nicht schaffe, allein zu wohnen, dass es mir nicht so gut geht. Es ist lange her, dass es mir prima ging. Wenn ich es so sage, klingt es nicht so dramatisch. Und es ist doch die Wahrheit, meine Version der Wahrheit. Bald werde ich anrufen und sagen, dass es lange her ist, seit es mir prima ging, bald werde ich anrufen und das sagen, bald. Aber vorher muss ich ganz einfach ein bisschen zusätzliches Geld verdienen, und in knapp einer Woche kann ich schließlich schon meine Laufbahn als Schauspieler begonnen haben.
Die Frau von der Arbeitsvermittlung erklärt mir den Weg zum Hof, der ungefähr eine halbe Stunde Busreise von der Stadt entfernt an der Bucht liegt. Der Bus nach Stavnäs geht dreimal täglich, hin und zurück. »Der Bus hält nur ungefähr hundert Meter vom Haupteingang«, sagt die Frau. Sie fährt einmal im Jahr zum berühmten Weihnachtsmarkt auf dem Hof.
Ich stecke die Karte in die Manteltasche und wandere ein paarmal die Hauptstraße auf und ab, um ein wenig Energie loszuwerden. Ich kaufe kalte Rippchen, die ich am Bahnhof einzunehmen beschließe. Ich setze mich auf eine Bank auf dem Bahnsteig, beobachte die Züge, den Fjord, die Boote, nage am Rippchen, trinke Saft, nage weiter. Ich studiere die Fahrpläne. Viele Züge gehen hier nicht, an einem guten Tag fünf, an einem Tag wie diesem drei. Der letzte Nachtzug geht um neun. Der Nachtzug nach Stockholm um eins. Um halb sieben kommt der Nachtzug aus Stockholm an. Ich verfolge den Fahrplan und sehe, dass die Nachtzüge sich in Hallsberg treffen. Ich kann also den Ein-Uhr-Zug nehmen, gut zweieinhalb Stunden schlafen, in Hallsberg aussteigen und dann direkt in den Nachtzug Richtung Westen steigen, der den Bahnhof von Hallsberg zwanzig Minuten später verlässt. Dann kann ich noch einmal ungefähr zwei Stunden schlafen, was mir fast fünf Stunden Nachtschlaf verschaffen würde. Ich habe ein Interrailticket und muss keine Fahrkarten kaufen oder Plätze buchen, ich kann einfach in einen Zug springen und aussteigen, wann und wie ich will.
Zucken im Bauch, Geräusch.
Der erste Bus nach Stavnäs geht um halb acht, was mir noch Zeit gibt, im Bahnhof zu frühstücken. Vielleicht brauche ich zwischendurch mal eine Nacht in der Pension, um mich zu waschen und auszuschlafen, aber ich mag Routinen und merke, dass mein neuer Reiseplan ausgezeichnet funktionieren wird. Es ist nur noch eine Woche bis zur Aufnahmeprüfung unten
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