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Herr Tourette und ich

Herr Tourette und ich

Titel: Herr Tourette und ich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pelle Sandstrak
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hören, vielleicht zwischendurch auch mal eine Straßenbahn, aber ansonsten ist es vollkommen leer und still. Ich merke, dass ich nach Schweiß stinke, also ist die Nase wieder aufgewacht. Auch der Verschluss von den Ohren ist abgenommen, aber die Zunge fühlt sich immer noch hart und faul und motorenölig an.

    Auf dem Boden neben dem Bett liegen meine alten Kleider. Ich kann mich nicht erinnern, wie es gewesen ist, sie nicht anzuhaben. Ich sehe an meinem Körper herunter, der jetzt in dunkelblaue Trainingsklamotten gehüllt ist. Hier gibt es keine Türschwellen, und ich komme ohne größere Probleme in die Dusche. Man hat mich angewiesen, zu duschen, aber ich habe nicht vor, es zu tun. Ich habe vor, Füße, Zehen, Nacken und Rücken zu duschen, der Rest muss so bleiben. Ich kann mich nicht erinnern, wann ich das letzte Mal geduscht habe. Vielleicht war es zu Hause im Dorf, vielleicht beim Militär, ich kann mich nicht erinnern. Ich feuchte die Hände an und lasse die Fingerspitzen Wasser in die Haare einmassieren, dann kämme ich es zurück, so dass es aussieht, als hätte ich die Haare gewaschen. Und dann bleibe ich wieder stecken, die Rituale tauchen auf, und zwar in doppeltem Tempo. Ich muss den Duschkopf hochheben, ein, zwei, drei, vier, fünf + ein, zwei, drei, vier Mal, zählen, wiederholen, die Dusche ein- und ausschalten eins, zwei, drei, vier, fünf + eins, zwei, drei, vier + neun Wiederholungen. Panik ergreift mich, aber ich schaffe es, das Ritual ein letztes Mal durchzuführen, indem ich die Dusche im Expresstempo ein, zwei, drei, vier, fünf + ein, zwei, drei, vier Mal ein- und ausschalte, ehe jemand es schafft, sich darüber zu ärgern.

    Ich bitte, Platen anrufen zu dürfen, aber das kann ich vergessen. Ich bitte, meinen Fahrplan zu bekommen, aber auch das kann ich vergessen. Die Interrailkarte und den Radiowecker werde ich morgen bekommen.

    Ich hatte große Mengen illegaler Tabletten in der Tasche, mein Blut wies ganz klar Anzeichen von Tablettenmissbrauch auf, ich konnte nicht erklären, woher ich das Odinzeug hatte, und die Geschichte mit dem Herzmittel meines Vater fand man wohl relativ dünn. Aber ich habe die Einnahme der Tabletten zugegeben, deshalb meint mein Pflichtverteidiger, dass ich wohl ziemlich billig wegkommen werde.

    »Billig wegkommen?«, frage ich

    »Jetzt müssen Sie erst mal ein paar Stunden oder Tage warten, und dann sehen wir mal, wie die Anklage aussieht. Bestimmt werden Sie bald raus sein. Man wird Ihnen für ein paar Monate in der Zukunft einen Dienst an der Allgemeinheit aufbrummen, aber die haben weder Zeit noch Lust, Sie hierzubehalten. Sie sind ein junger, einsamer und verwirrter Mann, und das kann nur zu Ihrem Vorteil sein. Aber seien Sie auf das Schlimmste gefasst.«

    »Das Schlimmste?«

    »Sechs Stunden, sechzehn Stunden, sechzig Stunden, sechzig Jahre?«, antwortet mein Pflichtverteidiger.

    Also warte ich. Auf das Schlimmste.

Der Brief

    Ich fange sogleich an, meinen Brief an den Professor in Reinschrift zu bringen. Es fällt mir schwer, alle Worte und Buchstaben zu entziffern. Die Farbe der Interrailkarte und des Infotextes vermischt sich mit meinen eigenen Worten und ziemlich wütenden Formulierungen. Ich habe aufgeschrieben, wie ich lebe und wie es mir geht. Nach ein paar Stunden Reinschrift ist der Brief fertig, und er muss abgeschickt werden, und zwar JETZT . Und ich gebe das Zentralgefängnis als Absenderanschrift an.

    Der Brief ist mehrere Seiten lang, und hinterher merke ich, dass er frei von den Buchstaben x, z, y und e ist. Zum Beispiel:

    »Und da hock ich nun …

    Und ich hör, was Si im Studio gsagt haben …

    Und Türschwllen und duschn und nicht mich waschn könn, da in Ritual und Anstckung und Tod häng …

    Und ich hör Sendung, wi vrdammt könn Si übr mich lachn, ich dacht Si sind Profssor, nicht Clown …

    Und dann Zuckn im Bauch, ich kling wi Affn, grunz, ruf …

    Und da hock ich nun …«

    Auf den Umschlag schreibe ich:

    »An Professor Per Mindus, Karolinska Krankenhaus, Stockholm, Schweden.«

    Ich habe keine Postleitzahl und auch keine Postfachnummer. Aber ich kann die Nummer jetzt nicht suchen, der Brief muss es so schaffen, und so viele Professoren wird es in diesem Krankenhaus ja wohl nicht geben. Die Polizei muss den Inhalt gutheißen, also den Brief lesen, aber das ist mir egal, ich lasse sie das machen, es ist sowieso alles ein Missverständnis. Ich lasse den Brief los und gehe zurück. In der Nacht darf ich nicht so viel

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