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Herr Tourette und ich

Herr Tourette und ich

Titel: Herr Tourette und ich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pelle Sandstrak
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Bauch .

    Es juckt in den Augen, der Magen knurrt, mir bricht der Schweiß aus. Ich lese das Fax noch einmal und noch einmal und noch einmal. Beim zwanzigsten Mal sehe ich ein, dass es echt ist. Ich müsste eigentlich an die Wand hauen, auf den Boden stampfen, vor Freude schreien, aber irgendetwas zweifelt in mir, so einfach kann es doch gar nicht gehen, du Superidiot .

    Er kommt nächste Woche her. Das Fax ist vor drei Tagen geschickt worden. Nächste Woche ist jetzt, genau jetzt. Genau jetzt ist er in Oslo. Vielleicht hat er bereits vergessen, dass es mich gibt. Ich darf nicht telefonieren, nicht faxen, nicht schreiben. Die Freude geht in Frustration über, Enttäuschung, nicht noch einmal, ich will nicht noch einmal die Tür vor der Nase zugeknallt bekommen. In der Nacht schlafe ich kaum. Ich halte das Fax in den Händen, ich weiß nicht warum, vielleicht habe ich Angst, dass jemand einbrechen und es stehlen könnte.

Hier sitzen Sie also

    Zwei Tage später stehe ich vor dem Zentralgefängnis und warte auf ein Taxi. In einer Woche soll ich mich wieder melden und dann Klarheit darüber erhalten, ob mein Fall weiter bearbeitet oder abgeschlossen werden wird. »Wir haben keine Handhabe, Sie weiter hier festzuhalten«, erfahre ich.

    Und dann höre ich nie wieder von ihnen.

    Ich stehe wieder in meinen alten Kleidern da, alles ist wie vorher – der Eisenbahnermantel, das gelbschwarze Synthie-Hemd, die Schuhe mit Löchern drin, die Ledertasche. Sie haben nicht einmal die Rippchen weggeworfen, nur das Odinzeug und Papas Medizin fehlen in der Ledertasche. Ich muss mit dem Taxi zum Hotel Bristol fahren, ein Fußmarsch ist undenkbar, es würde Ewigkeiten dauern, alle Bürgersteigkanten und Straßenkreuzungen zu überqueren. Ich habe gerade genug Geld, um mir eine neue Interrailkarte kaufen zu können, aber ich muss einen Teil davon ausgeben, denn das Taxi ist die einzige Möglichkeit für mich, den Professor im Hotel zu erreichen. Aber es ist Donnerstag, und ich habe Angst, dass der Professor schon auf dem Weg zum Flughafen sein könnte. Der Taxifahrer will mein Geld sehen, ehe er mich ins Auto lässt. Ich komme beim zweiten Versuch rein. Wir fahren auf direktem Weg zum Hotel Bristol.

    Es ist nach zwei Uhr, und ich würde zu gern aus dem Auto springen und kreuz und quer zwischen den Autos durch, nur um noch ein paar Worte mit dem Professor reden zu können. Aber ich wage es nicht, ich würde nur feststecken, und außerdem hasse ich diese Stadt. Sie ist es, die mich zu dem Wrack gemacht hat, das ich bin.

    Das Taxi hält vor dem Haupteingang. Ich werfe dem Fahrer einen Hunderter zu, und er gibt mir eine Riesenmenge Einkronenstücke zurück, aber ich schaffe es nicht, sie zu zählen, und deshalb ist es mir egal, ob das Wechselgeld stimmt. Ein Hotelportier hält mich an der Tür fest, fragt, ob ich ein Anliegen habe, ja, antworte ich, natürlich habe ich das. Es fällt ihm schwer, mein Anliegen zu akzeptieren, aber er lässt mich dann doch mit den Worten »Aber höchstens zehn Minuten« rein.

    Ich gehe sogleich zur Rezeption und frage nach Professor Mindus.

    Ich bekomme keine Antwort, jedenfalls keine direkte Antwort. »Wir können ihn nicht erreichen«, antwortet man mir an der Rezeption. Ich schaue auf die Hinweistafel für die Konferenzen. Da steht etwas, das Neuroforum heißt, und es scheint die einzige Konferenz zu sein, die noch nicht zu Ende ist. Auch wenn die Frau an der Rezeption meint, sie wäre schon beendet.

    Ich setze mich auf ein Sofa. Ich weiß, dass ich verzweifelt bin, tue aber so, als sei ich guter Dinge. Es dauert nur wenige Minuten, bis einer von der Rezeption mich lächelnd bittet, die Lobby zu verlassen, wenn ich kein »Anliegen« hätte.

    »Ich weiß, dass ich stinke«, sage ich, »und ich habe mindestens ein Anliegen.«

    Sie bitten mich dennoch, das Hotel zu verlassen, sie scheinen mir nicht zu glauben. Ich tue so, als würde ich die Lobby verlassen, aber als ich an der Treppe bin, kommt gerade eine Gruppe Gäste in die Lobby, und ich mache auf dem Absatz kehrt und gehe in den zweiten Stock hinauf. »Bibliothekssaal« steht mit schwarzen Buchstaben an einer breiten Tür. Ich setze mich auf noch ein Sofa, und wieder habe ich das Gefühl, schreien, brüllen oder auf den Fußboden stampfen zu müssen. So sitze ich vielleicht eine halbe Stunde oder eine Stunde oder zwei. Ich fange an darüber nachzudenken, ob ich meine Schwestern oder meinen Bruder anrufen soll oder zu dem Zimmer gehen und meine

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