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Herr Tourette und ich

Herr Tourette und ich

Titel: Herr Tourette und ich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pelle Sandstrak
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wegzugehen.

    Und da verändert sich alles. Die Stimmung wird härter, ihr trockenes Lächeln verschwindet. Sie bitten mich, zu der einen Wand zu gehen, die Arme auszustrecken, was ich mache, viermal, wie ein Flugzeug. »Jetzt hör schon auf mit den Witzchen«, sagt der kleinere von ihnen, während er sich die Gummihandschuhe anzieht. Dann reden sie nicht mehr viel. Und eigentlich ist es vielleicht auch nicht nötig. Sie begnügen sich mit dem, was sie sehen und finden. Der Mann befühlt mich mit den Handschuhen am ganzen Körper. Ich bleibe stehen und spüre, wie die Gummihandschuhe sich frei auf meinem Körper bewegen, in den Haaren, im Nacken, in den Hosentaschen, in den Manteltaschen. Sie bitten mich, die Hose auszuziehen, Ich ziehe die Hose aus. Lasse sie aber nur bis zu den Knöcheln herunter, dann muss ich keine neuen Rituale durchführen, so bewusst bin ich mir immer noch der Gefahren. Sie bitten mich, mich rumzudrehen. Ich drehe mich rum. Jetzt nimmt er einen anderen Gummihandschuh, der sich auf dem Unterleib vortastet, er hebt und hält und lässt los, er sucht weiter und tastet, tastet um die Öffnung herum, hält da aber inne, er geht nicht in die Öffnung, doch, das macht er, er tastet sich ungefähr einen Zentimeter in die Öffnung, Aber da hält er inne. Sie bitten mich, das Hemd aufzuknöpfen. Ich knöpfe das Hemd auf, die drei Knöpfe, die noch dran sind. Ein neuer Gummihandschuh tastet sich über den Bauch, unter den Nabel, zu den Schultern, in die Achselhöhlen. Sie finden nichts von Interesse.

    Sie leeren die Ledertasche aus – Interrailkarte, Pass, Knäckebrotpaket, der ausgelaufene Orangensaft und die abgekratzten Rippchen. Sie breiten die Sachen auf dem Tisch aus, neben all dem anderen, was sie gefunden haben – der Esslöffel, die Strohhalme, der Zitronensprudel, das Feuerzeug, der Umschlag. Und als der Umschlag rausgeholt wird, da beruhigt sich das Hundeekel, als hätte es jetzt endlich genug.

    »Du kannst sie jetzt runternehmen«, sagt einer von ihnen. Aber ich stehe immer noch mit gespreizten Beinen und ausgestreckten Armen da. Ich betrachte meinen eigenen Körper im Spiegel gegenüber. Ich stehe gerade da, das schmutzige gelbschwarze Synthie-Hemd ist offen, ich sehe die Rippen, die Leopardenflecken, den Bart, die fettigen Haare, die Hosen sind runtergezogen, alles hängt nur, hängt und schaukelt. Ich schäme mich, aber ich habe keine Angst, und ich bin überzeugt, dass ich es schaffen werde, die Kiste mit den Kleidern zu holen, um dann in aller Ruhe den Nachtzug zu besteigen und morgen früh an die Bürotür des Professors zu klopfen.

    »Wie in aller Welt kann man nur so dämlich sein und die Sachen in einem Umschlag aufheben, so offensichtlich und so bescheuert, Alice hat das doch sofort gemerkt«, murmelt einer der Männer. Dann streicht er dem Hund über den Kopf und gibt ihm einen Keks, oder was auch immer. Jedenfalls wedelt Alice ärgerlich heftig und provozierend lange mit dem Schwanz.

    Sie legen den Inhalt des Umschlags auf den Tisch – Papas Tabletten und das Odinzeug. Alles hat sich zu einem weißgepunkteten Brei vermischt, es ist unmöglich zu sehen, was was ist. Mitten in dem Brei liegen die Serviette und das Geld.

    »Und wie erklärst du das hier?«, fragt einer der Männer.

    Ich sage es so, wie es ist, die Wahrheit, wie ich sie sehe:

    »Das ist das Herzmittel meines Vaters …«

    Sie lachen. Ich auch.

    »Und braucht dein Vater sein Herzmittel nicht selbst?«

    »Das ist die Reserve. Ich soll es zur Apotheke zurückbringen.«

    »Ach so«, sagt der andere, und dann lachen sie wieder. Ich auch.

    »Und wie kommt es, dass du so viel vom Herzmittel deines Vaters in der Tasche hast?«

    »Ich habe seine Ledertasche ausgeliehen.«

    »Und warum?«

    »Weil ich sie mag, es passt viel rein.«

    »Wie kommt es, dass keine der Tabletten einen Namen oder einen Stempel trägt?«

    »Sie liegen schon lange in der Tasche. Feuchtigkeit und Dreck haben sicher die Stempel verschwinden lassen.«

    Sie lächeln. Ich auch.

    »Weißt du, was Odin bedeutet?«

    »Der Gott?«

    Sie lächeln. Ich auch.

    »Glaubst du, dass Odin ein Herzmittel ist?«

    Ich sage es so, wie es ist:

    »Rufen Sie doch an und kontrollieren sie das, bitten Sie den Arzt meines Vaters, das zu bestätigen, ja. Ich habe jetzt keine Zeit mehr, ich muss in ein paar Stunden den Nachtzug erwischen.«

    »Warum hast du es denn so eilig?«

    »Weil ich meine Kleider holen und morgen früh einen Professor treffen

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