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Herr Tourette und ich

Herr Tourette und ich

Titel: Herr Tourette und ich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pelle Sandstrak
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seiner Ledermappe hat. Er sagt nicht mehr so viel. Ich sage auch nicht viel, kriege kaum ein paar sinnvolle Wörter heraus. Ich hoffe nur, dass das auch alles wirklich passiert, dass ich mich nicht ausgerechnet jetzt mitten in einem Wunschtraum oder einem magischen Traum befinde. In einem absurden Traum, in dem ich auf einem Hotelsofa sitze, und John Cleese mir gegenüber, John Cleese, der mich jetzt bittet, auf ein Papier zu schreiben, wie groß ich bin, wie viel ich wiege, mögliche chronische Krankheiten und Allergien, Haarfarbe und Nationalität. Mindus sieht auf seine Uhr, legt das Papier, das ich soeben ausgefüllt habe, in seine Ledermappe. Dann steht er auf, geschmeidig und elegant und schlaksig. Er legt eine Hand auf meine Schulter und sagt die Worte, die sich mir ins Gehirn eintätowieren:

    »Jetzt beginnt Ihr neues Leben. Und Sie werden Ihr neues Leben damit beginnen, eine ganz lange Dusche zu nehmen.«

Eine ganz lange Dusche

    Mindus geht die Treppen hinunter, verschwindet aus der Lobby und gleitet in ein wartendes Taxi. Weg. Ich sitze immer noch auf dem Sofa, sehe mich im Hotel um, schnipse mit den Fingern, lehne mich zurück, lehne mich vor, schnipse weiterhin mit den Fingern. Ich entdecke ein Wandtelefon, eile hin, werfe eine Menge Münzen ein und rufe zu Hause an.

    Papa geht ran. Ich rede ohne Pause.

    »Er heißt Mindus, und ich habe Tourette-Syndrom.«

    »Was?«, schafft Papa noch dazwischen zu schieben, ehe ich weiterrede:

    »Ich habe diese Radiosendung gehört, der Professor saß im Studio und ich habe ihm diesen Brief geschrieben, den er gelesen hat, und auf den er geantwortet hat, und dann haben wir uns im Bristol getroffen.«

    »Wo bist du?«

    »Bristol.«

    »England?«

    »Hotel Bristol.«

    »Was?«, kann Papa gerade noch sagen, aber da rede ich schon weiter:

    »Ich werde ihn nächste Woche in Stockholm treffen, er wird mich untersuchen, ich werde an einem Forschungsprojekt teilnehmen … Papa, das gibt es, es gibt mich … Tourette, erinnerst du dich?«

    Am anderen Ende der Leitung schweigt Papa sehr lange, als müsse er erst noch fertig kauen, als hätte er was im Mund oder im Hals. Vielleicht versucht er fertig zu denken, die Logik in dem, was ich sage, zu finden.

    »Jetzt mal ganz von vorne«, sagt er.

    Ich werfe meine letzten Einkronenstücke ein und fange ganz von vorne an.

    Ein paar Stunden später telegrafiert Papa Geld rüber, so dass ich ein paar Wochen auskomme. Es stellt sich heraus, dass ich ein Sparkonto mit ungefähr hundert Kronen drauf besitze. Ich wusste nicht mal von der Existenz des Kontos, und jetzt hoffe ich nur, dass das Geld kommt, ehe die Postbank um sechs Uhr schließt. Während ich darauf warte, versuche ich, mich im Hotel aufzuhalten, aber einer der Portiers entdeckt mich und bittet mich, das Hotel zu verlassen. Ich erinnere mich vage, dass ich – nach einer halben Stunde – aus dem Hotel rauskomme, die Storgata herunterspaziere, dass mir wieder übel wird und ich anfange zu schwitzen, dass ich darüber nachdenke, wie ich so schnell wie möglich aus dieser Teufelsstadt kommen kann, ehe ich wirklich zusammenbreche. Um halb sechs hebe ich mein Geld ab und begebe mich dann auf direktem Weg zum Hauptbahnhof. Ich kaufe noch eine Interrailkarte und parke den Körper im Nachtzug nach Osten. An der Grenze steige ich in einen Lokalzug, der mich ein paar Stunden später weiter nach Osten und nach Värmland hineinbringt. Dann erinnere ich mich an nicht mehr viel.

    Am Montag rufe ich Mindus an, wahrscheinlich aus irgendeiner Telefonzelle in Stockholm. Mindus bittet mich, in seine Sprechstunde zu kommen, am nächsten Tag, gegen neun.

    In dieser Nacht fahre ich meine alte Tour – ich nehme einen Nachtzug, steige mitten in der Nacht in einen anderen um und schlafe vier Stunden, hin und zurück.

    Am nächsten Tag. Das Karolinska Krankenhaus, gegen neun.

    Mindus sagt, dass ich so lange duschen und zwangshandeln darf, wie ich will, gern, bis das Wasser kalt ist – wenn ich nur dusche. Ich habe Todesangst. Ich muss duschen. Ich habe keine andere Wahl. So wie es jetzt ist, geht es dem Körper nicht gut, es gibt keinen Weg zurück. Die Gefahr, dass ich für den Rest meines Lebens in der Dusche feststecken werde, ist groß. Ich wage aber nicht wirklich, Mindus von diesem kranken und gefährlichen Gedanken zu erzählen. Und doch scheint es, als wisse er, was ich denke. Er erzählt, dass er vor dem Duschraum Wache halten wird, während ich Zwänge und Rituale

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