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Herr Tourette und ich

Herr Tourette und ich

Titel: Herr Tourette und ich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pelle Sandstrak
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gehen und mich ausruhen, duschen, Wasser trinken, dehnen. Ich hinke zur Umkleide. Kurz hinter der Tür beende ich das Schauspiel und vollführe eine Pirouette, yes Sir , schön – Zucken im Bauch . Zwanzig Minuten tue ich so, als sei ich Wayne Gretzky, dann dusche ich ab, was eigentlich Schweiß sein sollte.

    Bei Auswärtsspielen sind die Trikothosen schwarz, damit habe ich kein Problem. Doch sowie wir ein Heimspiel haben, kriege ich wieder Bauchschmerzen und tue so, als müsse ich spucken. Es fällt den Turnierleitern immer schwerer, meine chronischen Magenprobleme zu verstehen, und sie meinen, ich sollte zum Arzt gehen, denn es könnte mit einer Art von Allergie zusammenhängen, vielleicht das Gras, vielleicht auch die weiße Gipsfarbe, die die Spielfeldumrandung markiert, vielleicht aber auch der Zucker in den Sportgetränken.

    Mitten in einer Mathestunde komme ich auf die Idee, unter den roten Hosen zwei Paar blaue zu tragen. Blau siegt 2:1 über Rot. Kantersieg. Ich siege über die Bazillen und die Ansteckung und den Tod. Und so geht es für den Rest der Saison und in der nächsten Saison genauso.

    Blau wird alles, rot der Tod selbst.

    Ich bin blau, und ich komme aus dem Norden. Alles Nördliche wird Güte, alles Südliche das Böse. Nördlich, kalt, eisig = blau.

    Südlich, Wärme, Schweiß, Bazillen = rot.

    Ich überlege, in welcher Richtung Norden im Dorf liegt. Es muss links von der Brücke sein. Vielleicht fünfzig Grad links von der Brücke, über das Dach zum Nachbarn. Ich drehe das Bett so, dass das Kopfende nach Norden weist. Wenn ich mich hinlege, muss ich immer den Körper und den Kopf nach Norden drehen, ehe ich einschlafe. Wenn ich zufällig mal mit dem Kopf nach Süden einschlafen sollte, dann können mich Ansteckung und Schweiß und Bazillen im Schlaf angreifen, und ich könnte sterben, ganz einfach sterben.

    Auf die Rückseite vom Buch Gesellschaftskunde 1 schreibe ich:

    Von JETZT an schläfst du mit dem Kopf nach Norden gewandt.

    Der ganze Körper sollte nach Norden liegen. Vor allem der Unterkörper. Wenn ich zufällig mit dem Pimmel nach Süden gewandt einschlafe, dann werde ich vielleicht Kinder kriegen, die alle rote Haare und verschwitzte Hände haben und die voller Bazillen sind. Außerdem sollte der April abgeschafft werden, der steht nur dem Mai im Weg, dem Mai, der nur eine Winzigkeit vor dem Sommer ist, der vorüberrauscht wie der Zug, der erst im Herbst stehen bleibt. Außerdem klingt April noch schlimmer als alle anderen Monate. Apriiiil. Apriiil. Klingt wie ein Nashornfurz im Gegenwind. Oktober ist der Gegensatz dazu, der Dezember auch. November dann ist die Güte in Person. November. Hmmmber. Als würde man die Zähne in den Nacken eines Marzipanschweins schlagen. Novemmmmber. Wenn ich Premierminister wäre, dann würde ich den April abschaffen und den November stattdessen auf sechzig Tage verlängern. Herbst und Winter würden länger werden, der Frühling würde runtergekürzt und das Jahr hätte trotzdem noch dreihundertfünfundsechzig Tage. Denn, wer schert sich schon um den April?

Hässliche, dreckige Wörter

    Tics à la Koprolalie

    Eindrücke (Gerüche, Laute, Farben)

    + Trigger (Stress erzeugende und Druck ausübende Umwelt, spannende oder langweilige Menschen)

    = Zucken im Bauch

    = unpassende Wörter

    Es ist mir nicht bewusst, aber ich spüre, dass es im Körper zuckt. Eigentlich überall, doch hauptsächlich im Bauch. Nicht sehr viel, nicht sehr oft. Wie ein Niesen, ein plötzliches Zucken, das in Form eines unerklärlichen Wortes oder eines komischen Satzes oder beidem aus dem Mund entweicht. Ich kann das nicht logisch, sondern nur aus dem Gefühl heraus erklären. Es gibt sowieso keine Logik, sondern nur Gefühle. Es geschieht einfach. Anstelle der üblichen Schimpfwörter wie »verdammte Scheiße«, »zum Teufel« oder »so ein Scheiß« sage ich zufällig Dinge wie Tomatenschnauze, Fischpuddinghintern oder Möwenarschloch. Ein Gefühl mündet in eine Kaskade von Wörtern, mit denen nur wenige etwas anfangen können. Das Gefühl. Wieder mal das Gefühl. Das Gefühl überfährt die Kontrolle, die dem Impuls nachgibt. Wenn ich mich unter Druck gesetzt, gestresst oder in die Ecke gedrängt fühle, dann zuckt es im Bauch, genauso wie immer, aber der Laut wird jetzt durch ein hässliches oder unpassendes Wort ersetzt. Das geschieht nicht bewusst, nicht überlegt, nicht inszeniert. Es geschieht einfach. Wie eine Entladung. Und es geschieht nicht allzu oft,

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