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Herr Tourette und ich

Herr Tourette und ich

Titel: Herr Tourette und ich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pelle Sandstrak
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und Butterbrotpapier eingebettet. Das sieht so einfach aus, so träge und gut geplant. Es sieht so Oskar aus. Vor dem Salamiwolkenkratzer selbst liegt Feind Nummer zwei und leuchtet mir wie ein Verkehrsschild entgegen: die lange, orangefarbene, frisch geschälte Mohrrübe, die Oskar in ungefähr zehn Minuten zerkauen wird. In tausend Teile zerbeißen wird. Denn er kaut so verdammt lange auf jedem Teil, dass die Mohrrübe nie zu Ende ist, sie wächst nur, wird länger und länger, höher und höher, wie ein gigantischer Penis. Oskar sitzt da und kaut freiwillig auf einem grotesk rot-orangefarbenen Riesenpenis, und das scheint ihm gar nichts auszumachen. Aber das ist noch gar nicht das Schlimmste. Das Schlimmste ist dieses verdammte Geräusch, die Säge, die durch den Kopf schneidet, meine Ohren zerbeißt, meine Laune wegfrisst und meinen Namen rülpst, ehe er mich durch den südwestlichen Körperteil von Oskar hinausfurzt. Ich sollte gehen und meine Sardinen draußen auf dem Flur essen, aber das dürfen wir nicht. »Die Klasse ist eine Gruppe, und in der Gruppe halten wir zusammen«, sagt unser Klassenlehrer, der ein Ortsvorsteher von »Die Zukunft in unseren Händen« ist, einem Teil der Humanistischen Vereinigung.

    Also starre ich auf Oskars Salamiwolkenkratzer und erwarte die Mohrrübe. Im Bauch bewegt sich was. Die Sardinen sind gut, aber die sind es nicht, was sich da bewegt. Es sind Wörter. Wörter, die einfach nur kommen, lauter und lauter, und ich kann nichts dagegen tun – Zucken im Bauch, Geräusch .

    »Salamiarsch, Salamihintern, Salamimohrrübenarsch …«

    »Schnauze, du Fischhirn«, entgegnet Oskar und zerkaut die oberste Etage des Salamiwolkenkratzers. Dann faltet er eines der Butterbrotpapiere zusammen, formt es zu einem Basketball und wirft den im Sitzen zum Papierkorb an der Tür – Treffer. Einige seiner Untergebenen applaudieren. Oskar würdigt sie keines Blickes, reckt sich, cool und ungerührt. Er nimmt die Mohrrübe und steckt sie sich zwischen die Zähne, während er gleichzeitig den zweiten Butterbrotpapierball zum Papierkorb wirft – wieder Treffer. Dann fängt er an zu kauen. Nach ein paar Sekunden kommt dieses verdammte Mohrrübengeräusch. Ich muss mir die Ohren zuhalten und die Säge im Kopf wegsummen. Aber Oskar kaut weiter, ungerührt, cool. Verdammte Pimmelmohrrübe , zuckt es in meinem Bauch. Doch er scheint sich überhaupt nicht darum zu scheren, er kaut nur, dreht sich zu mir um, lächelt, kaut weiter, lehnt sich zurück und fährt fort, den Gigantopenis zu zerbeißen. Es tut so schrecklich weh, ich friere, zittere, verliere den Appetit – Zucken im Bauch, im Gedärm, im Hals, im Mund, Zucken wieder und wieder . Ich will nicht, aber ich kann nicht anders … und da passiert es einfach …

    Eine halbe Stunde später, am selben Tag.

    Das Zimmer der Schulschwester. Oskar sitzt zurückgelehnt auf einem ihrer grünen Drehstühle. Die Schwester untersucht seinen Mund. Keine bleibenden Schäden.

    Gleichzeitig, am selben Tag.

    Das Zimmer des Rektors. Ich sitze zurückgelehnt auf dem weinroten Plastiksofa des Rektors. Der Rektor steht am Fenster, schaut auf den Lachsfluss hinaus. Ich bin ruhig und konzentriert, mitten in einer wohlriechenden Tüte mit Backpflaumen. Ehe ich die Tüte verlasse, bittet mich der Rektor, Papa zu grüßen und ihm auszurichten, dass das Treffen der Lachsangler auf sieben Uhr verschoben ist, nicht auf acht, wie es zuvor geheißen hatte.

    Um die Mittagszeit, am selben Tag. Die große Schwester sagt:

    »Es heißt, du hättest heute in der Schule versucht, Oskar mit einer Mohrrübe zu ersticken.«

    »Kriege ich noch ein paar Kartoffeln?«, unterbreche ich sie.

    Die kleine Schwester lächelt.

    »Kartoffeln sind gut«, sage ich.

    »Stimmt das?«, fragt Mama.

    »Das war ich nicht«, sage ich.

    »Das warst du nicht?«

    »Ich habe nichts gemacht. Schieb mir mal die Wurst rüber«, sage ich zur großen Schwester, die beharrt:

    »Alle reden darüber.«

    »Worüber reden sie?«, fragt Mama.

    »Dass Oskar angefangen hat zu flennen«, sagt die kleine Schwester.

    »Er hat gekriegt, was er verdient«, sage ich mit Wurst im Mund. »Aber ich war es nicht.«

    »Und wer war es dann?«, fragt Mama.

    Panik, Zucken im Bauch, Geräusch :

    »Die Möwe. Es war die Möwe, die diesem Fischhinternpuddingarsch eins auf die Mütze gegeben hat.«

    Langes Schweigen. »Schieb mal die Kartoffeln rüber«, sage ich zufrieden zur großen Schwester.

    »Aha … und was hat

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