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Herr Tourette und ich

Herr Tourette und ich

Titel: Herr Tourette und ich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pelle Sandstrak
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doch wenn, dann erzeugt es Reaktionen.

    Wenn ich nur lernen könnte, anstelle von »Salamifischpuddingpimmelarsch« einfach nur »Scheiße« zu sagen, dann würde man mich zwar für grobschlächtig halten, aber nicht für pervers.

Salamiarsch

    Es ist zwölf Uhr. Wir essen im Klassenzimmer zu Mittag. Jeder hat sein eigenes Vesperpaket dabei.

    Und jeder kriegt sein Milchpäckchen mit dem roten vierblättrigen Kleeblatt drauf, dem Logo der Meierei. Ich hasse Milch, sie ekelt mich an, Kuhpisse im Päckchenformat. Behaupte, ich sei allergisch, die Lehrer akzeptieren die Erklärung, behaupten aber weiterhin die ganze Zeit, Milch würde »kräftige Beine« machen und wer Erster Harpunier werden wolle, der brauche doch kräftige Beine. Ich für meinen Teil habe noch nie einen Ersten Harpunier aus einem kleinen viereckigen Milchpäckchen trinken sehen. Also trinke ich nichts, esse aber umso mehr.

    Ich öffne mein Vesperpaket, betrachte die Sardinen und verspüre Hunger.

    Oskar ist ein klein wenig dick, breit, viereckig gebaut, mehr Fett als Muskeln. Er sitzt direkt vor mir. Jeden Tag, das ganze Jahr lang. Also sehe ich jeden Tag, das ganze Jahr lang seinen Rücken, seinen Nacken, seine Haare und seine schwarzen Cordhosen, die jeden Tag ein klein wenig weiter gen Süden rutschen. Jeden Tag, das ganze Jahr lang sehe ich den Beginn jener schwarzen Hinternfalte, die Südost von Südwest trennt und den Hintern in zwei gleich große, fettbleiche Teile teilt. Neulich entdeckte ich auch, dass dort eine Haarsträhne geradewegs in die Luft ragt, die sitzt einfach da auf der linken Hinternhälfte und starrt mich an und winkt mir, als wäre sie nur dazu da, mich zu provozieren und zu reizen, mich wütend zu machen und mir den Appetit zu verderben. Eine einzelne Haarsträhne, von einer Masse unnötigen Hinternflaums umgeben, kleine, kaum sichtbare Flaumhärchen, die eigentlich nur dazu dienen sollen, dieser einen Haarsträhne da mentalen Rückhalt zu geben. Ich will die Haarsträhne oder den Hinternflaum oder die Ritze, die die Hinternhälften teilt, nicht sehen, aber ich kann einfach nicht anders als hinzusehen. Ich schaue hin, und der Hintern schaut zurück. Oskar setzt sich, die Hose rutscht automatisch über den Hintern, ich soll meine Sardinen essen, die Hinternritze zeigt sich, und noch ehe ich denken kann, zuckt es im Bauch, und gleichzeitig hüpfen die Wörter aus dem Mund:

    »Fischpuddingarsch, zieh dir mal ’ne Hose an.«

    Oskar dreht sich um:

    »Schnauze.«

    »Zieh die Hose hoch, ich will keine Hinternritze im Essen.«

    »Mach mal halblang.«

    »Hinternritzenarsch und Fischpuddinghintern …«

    An diesem Punkt mischt sich der Lehrer in die Diskussion ein:

    »So, jetzt wird gegessen und nicht gestritten. Ihr wisst doch, dass Milch kräftige Beine macht und …«

    Oskar kann mir verbal nie das Wasser reichen. Vielleicht würde er im Ringen über mich siegen, denn wenn ich ihn nicht innerhalb von fünf Minuten auf die Knie zwingen könnte, dann würde er bestimmt der Stärkere sein. Er hat so etwas undefinierbar Träges an sich, diese Trägheit, die alle Leute als Zeichen für eine ruhige und stabile Persönlichkeit ansehen. Ich kaufe ihm das überhaupt nicht ab. Nun sitzt er also da und holt seine Vesperbox mit dem roten Ferrari-Aufkleber drauf heraus. Alle bewundern Oskars Box, finden sie stark, neu, anders. Oskar hat mindestens einmal alle halbe Jahre eine neue Box, in verschiedenen Farben, aber immer mit dem verdammten roten Ferrari-Aufkleber drauf. Als ich sage, dass er ja wohl nur einen Aufkleber hat, wird er wieder so undefinierbar träge und fängt an, mich zu bedrohen: »Wir sehen uns in der Pause, du Fischkopf.«

    Und wieder einmal macht Oskar diesen Wolkenkratzer mit Salamistullen auf, die seine Mutter ihm macht, jeden Tag, das ganze Jahr lang. Draußen regnet es, die Feuchtigkeit dringt ins Klassenzimmer und vermischt sich mit dem Geruch von Salami und Hinternritze und Hinternflaum, das ganze Klassenzimmer ist wie eine kleine eklige Metzgerei, eine Menschenmetzgerei mit zum Trocknen unter der Decke aufgehängten Köcherfliegen. Zwischen jede Salami-Etage hat die Mutter ein Stück dünnes Butterbrotpapier gelegt, das immer perfekt im Verhältnis zur Größe der Stulle ist. Das Butterbrotpapier bedeckt ganz genau die Salami, weshalb es anfänglich unmöglich ist, die Salami mit bloßem Auge zu erkennen. Aber ich weiß doch, dass sie da liegt und sich versteckt, fett und feindselig zwischen Brotscheibe

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