Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Herr Tourette und ich

Herr Tourette und ich

Titel: Herr Tourette und ich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pelle Sandstrak
Vom Netzwerk:
sind stolz auf dich.«

    »Aber nur ein Termin.«

    »Wir fangen mit einem Termin an. Dann sehen wir weiter.«

    Psychiatrische Sprechstunde, Stadt an der Küste.

    Der Psychotherapeut ist ein großer Mann. Er trägt ein enges dunkelgrünes Cordjackett, einen grauen Wollpullover, hat viele lockige Haare und eine Brille, die mindestens so groß ist wie die von Johan Gestapo. Er spricht leise, gedämpft, ich höre kaum, was er sagt. Er ist nett, will mir wohl nichts Böses. Er spricht den Hauptstadtdialekt, wie die Leute in den Fernsehnachrichten. Dieser Hauptstadtdialekt macht mich immer so müde und verwirrt, der hört irgendwie niemals auf, es ist, als würde man Grießbrei mit Zement drin essen. Wir reden über dies und das. Er tut mir leid – Cordjackett, massenhaft Locken, Brille, vielleicht hat er keine Frau, keine Kinder, ich spiele lieber mit, dann hatte er wenigstens einen netten Tag bei der Arbeit.

    »Setz dich«, sagt er.

    Also setze ich mich, bin gezwungen, mich wie ein Pilot hinzusetzen – raus mit den Armen, kleines Geräusch, brrr .

    »Ja … und wie ist das mit so einem wie dir?«, fragt er mit seiner freundlichen und warmen Grießbreizementstimme.

    »Fasten your seat belts, ready for take-off.«

    »Wie läuft’s in der Schule?«

    »Boeing 747.«

    »Du kannst mir alles erzählen, hab keine Angst«, sagt er.

    »Ich habe keine Angst, und ich habe nicht sonderlich viel zu erzählen«, antworte ich.

    »Aber würdest du denn gern erzählen?«

    »Ich habe andere Dinge zu tun.«

    »Was denn, zum Beispiel?«

    »Den Kopf an die Klotür zu donnern.«

    Lange Pause.

    »An die Klotür? Warum ausgerechnet die Klotür?«

    »Die ist weich …«

    Der Psychotherapeut schreibt etwas auf. Er betrachtet, was er gerade aufgeschrieben hat, und sieht dann mich an. Nach ein paar Minuten fängt er an, etwas zu zeichnen, ich glaube, es soll einen Kreis mit kleinen Punkten in der Mitte darstellen. Er redet, leise, ich muss mich vorbeugen, um zu hören, was er sagt:

    »Bist du sicher, dass du nicht verliebt bist?«

    »Verliebt …?«

    »Weißt du, wie man das merkt?«

    »Wissen Sie es?«

    »Ich bin erwachsen, du bist ein junger Erwachsener. Ich kenne den Unterschied.«

    Er setzt weiter Sternchen in diese Zeichnung, die jetzt auf dem Tisch zwischen uns liegt.

    »Den Unterschied zwischen was?«, frage ich, um die Zeit rumzukriegen.

    »Den Unterschied zwischen verliebt sein und nicht verliebt sein.«

    »So wie der Unterschied zwischen einer Boeing und einem Airbus?«, lächele ich.

    Er steht auf, seine Wangen sehen aus wie Cocktailtomaten, aber er redet weiter, nur immer noch so leise:

    »Gibt es ein Mädchen in deiner Klasse, das du magst?«

    »Keins.«

    »Eine wird es doch geben, oder?«

    Ich sehe ihn an – Cordjackett, massenhaft Locken, Brille, wahrscheinlich hat er keine Frau, keine Kinder, wohnt allein in der Stadt an der Küste, am besten spiele ich mit, dann hatte er zumindest einen guten Tag bei der Arbeit.

    »Schon«, antworte ich.

    Er freut sich, als hätte er gleichzeitig Öl und Gas entdeckt.

    »Und wie ist sie?«

    »Sie ist mausetot, riecht aber immer noch nach Löwenzahn.«

    Der Psychologe setzt sich wieder hin. Er schaut mich lange an. Dann:

    »Wie heißt sie?«

    »Ingrid.«

    »Denkst du oft an sie?«

    »Meistens an Line.«

    »Line?«

    »Denke meistens an Line.«

    »Wann denkst du an sie?«

    »Wenn ich an Kate Bush denke.« Zucken im Bauch . »Sie wollte meine Erektion sehen.«

    »Ah … Kate Bush wollte das?«

    »Line.«

    »Natürlich.«

    »Wenn du an Ingrid denkst, was machst du dann?«

    »Line.«

    »Wenn du an Line denkst, was machst du dann? Wenn du duschst, denkst du dann an sie, kriegst du dann eine Erektion?«

    »Nicht dass ich wüsste.«

    »Das ist nicht schlimm, alle Jungs kriegen das.«

    »Sie auch?«

    »Wenn du an Ingrid denkst, hast du dann Lust, mit ihr zu schlafen?«

    »Verdammt, sie ist doch tot …«

    »Ich meine, Line, entschuldige …«

    Zucken im Bauch.

    »Boeing …«

    »All das ist in deinem Alter ganz normal, mach dir keine Sorgen. Du hast Phantasie, aber du bist ganz normal. Woher ich das weiß? Nun ja, du bist in das gekommen, was wir Pubertät nennen. Und davor muss man gar keine Angst haben. Du hast auch Tendenzen, das entwickeln zu können, was wir eine Zwangsneurose nennen … aber nun warten wir mal und sehen, wie sich es sich entwickeln wird.«

    Eine Woche später. Psychiatrische Sprechstunde, Stadt an der Küste.

    Der

Weitere Kostenlose Bücher