Herr Tourette und ich
großen Haus mitten in dem Park führt. Hier und da sind im Park noch kleinere zweistöckige Häuser verstreut. Papa blättert in ein paar weißen und grauen Papieren, die er in der Hand hat, und schaut noch einmal den Artikel über Oliver Sacks in der Newsweek an. Als wir auf die erste Lichtung kommen, können wir das große Haus noch deutlicher sehen, jetzt wirkt es noch größer, wie ein Schloss. Frank Zappa hält ein paar Meter vor der Treppe zum großen Schloss. Papa gibt ihm einen Zettel, kein Geld. Frank Zappa nickt und fährt schnell davon.
Wir kommen in eine große Eingangshalle. Plötzlich sind da massenhaft Menschen um uns herum. Die meisten wirken fröhlich und freundlich, vor allem freundlich. Papa bittet mich, in einem der vielen großen, braunen, hässlichen Cordsofas mit aufgestickten Mustern zu warten – ganz und gar nicht die wohlriechende Qualität des Backpflaumensofas. Papa redet mit einer Frau oder einem Mann, der hinter einem Schalter ganz hinten in der Ecke versteckt sitzt. Wir steigen vier Treppen hoch. Zwischen jeder Etage hängen ausgestopfte Tiere. Auf der ersten Etage ein Falke, ein Adler auf der nächsten, ein Luchs auf der dritten. Die Treppenstufen tragen dieselbe rote Auslegeware wie die Treppe zum Büro des Rektors.
Auf der vierten Etage setzen wir uns in ein weiteres ekliges, geruchsloses, bräunliches Cordsofa. Papa beugt sich vor, fährt mir mit der Hand durchs Haar und wuschelt es durch, so wie er es tut, wenn er etwas sagen will, wirklich etwas sagen will, etwas Wichtiges.
Die Tür geht auf. Eine Frau in knielangem Kittel begrüßt uns, aber sie lächelt nicht, wahrscheinlich hat sie überhaupt noch nie gelächelt, deshalb nehmen wir es nicht persönlich. Sie bittet uns, ihr zu folgen. Wir gehen durch eine riesige Tür und dann weiter in ein gigantisch großes Zimmer. Direkt vor mir steht wieder so ein ekliges Cordsofa, also gehe ich schnell weiter und bleibe vor einer großen Glastür mit kleinen Vierecken drauf stehen. Auf der anderen Seit der Glastür steht ein älterer Mann. Er sieht mich an, ernst, dann öffnet er die Tür. Papa begrüßt den Mann mit der Brille. Papa sagt:
»Das ist Doktor …«
Zucken im Bauch . Ich unterbreche ihn:
»Es riecht nach Grießbrei.«
»Grießbrei?«, fragt der Mann mit dem dünnen, wassergekämmten Haar und der Brille.
Papa rettet die Situation:
»Das ist also Doktor Brezén.«
Zucken im Bauch.
»Brezel?«
»Brezén«, sagt Papa.
»Brezén«, bekräftigt Brezel und schüttelt mir gleichzeitig die Hand.
Der Grießbreigeruch macht mich nervös. Es zuckt im Bauch, der Kopf tut weh, der Körper juckt, ich bin durcheinander. Brezel setzt sich in einen großen schwarzen Ledersessel. Er schlägt die Beine übereinander, beugt sich vor, sieht mich an und fragt:
»Warum findest du, dass es nach Grießbrei riecht?«
»Warum mögen Sie Grießbrei?«, frage ich.
»Ich mag keinen Grießbrei«, antwortet Doktor Brezel.
»Und warum stinkt es hier drin dann nach Grießbrei?«
Doktor Brezel nimmt die Brille ab. Lange Pause. Ich bekomme keine Antwort. Doktor Brezel bricht das Schweigen:
»Hatten Sie eine gute Reise?«, fragt er und sieht zu Papa.
»Ja, doch …«
Ein Auto gleitet in einem Container Grießbrei herum, ein Dodge dreht so durch, dass die Breimasse an den Wänden entlangspritzt und die Brille von Brezel mit stinkendem Grießbreischmodder einschneit.
Brezel fährt fort:
»Jetzt erzähl mal ein wenig von dir selbst …«
»Was denn?«
»Was du magst, und was du nicht magst.«
»Ich mag Haferbrei, aber ich hasse Grießbrei. Wayne Gretzky und Börje Salming mag ich auch, aber ich weiß nicht, ob sie mich mögen.«
»Was magst du nicht?«
»Salamifresse und Fischpudding.«
Papa sagt:
»Du kannst doch erzählen, was du so denkst … was dich beschäftigt.«
Mir bricht der Schweiß aus, das Unbehagen wächst, aber ich mache weiter, ich will erzählen, ich will Ruhe im Kopf haben, Ruhe zu Hause, Ruhe in der Schule, Ruhe überall, also sage ich es so, wie es ist:
»Mein Gehirn kann Flugzeuge abstürzen lassen, Oskar ist ein Salamipimmel, und der Zahnarzt heißt Johan Gestapo.«
Ich glaube, das gibt eine lange Pause. Doktor Brezel wird ernst, schreibt etwas in einen Ordner, rückt die Brille zurecht, rückt den Stuhl zurecht, sieht Papa an, dann mich, dann wieder Papa:
»Erzähl mir … wenn ich Flugzeug sage … was sagst du dann?«
Lange Pause. Ich fahre fort:
»Welches
Weitere Kostenlose Bücher