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Herr Tourette und ich

Herr Tourette und ich

Titel: Herr Tourette und ich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pelle Sandstrak
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gehe in mein Zimmer runter und vollende das Schlagen an der Lieblingstür.

    In der Schule witzelt Jesper. »Bist du vor die Tür gelaufen, oder was?«

    Ich antworte laut, dass ich genau das gemacht habe. Alle lachen. Die Lehrer und Mitschüler bemerken mein Verhalten anscheinend nicht. Ich werde ein Meister darin, meine Zwänge zu verbergen. Ich tue so, als wäre ich ruhig und fleißig, und die meisten kaufen mir meine Entschuldigungen und Erfindungen ab. Doch es fällt mir immer schwerer, still zu sitzen. Sowie es ein wenig langweilig wird und ich die Konzentration verliere, rutschen die Gedanken ins Gehirn, Ansteckung und Tod. Ich benutze den Kopf, um Türen einzuschlagen, anstatt Wissen aufzunehmen. Außerdem fängt es an, im Kopf weh zu tun, der Schmerz führt dazu, dass ich mich nur schwer konzentrieren oder Dinge lernen kann. Wenn ich die Zeigefinger an die Schläfen presse, lässt der Schmerz für eine Weile nach, das hilft, dann kann ich ein paar Minuten entspannen. Ich kann zuhören, aber nicht aufnehmen, was gesagt wird, es geht nicht rein, sondern verschwindet irgendwo im Raum. Die Noten werden schlechter, sinken wie eine Schweizerkäse-Titanic-Flotte.

    Nach ein paar Monaten werden die Gedanken stärker, der Widerstand geringer. Ich fange an, die Stirn an die Klotür zu schlagen, ein, zwei, drei, vier Mal. Mama und Papa sehen mich von der Küche aus, aber sie können mich nicht daran hindern, auch wenn sie es versuchen. Die Stirn an die Tür, eins, zwei, drei, vier, dunk, dunk, dunk, dunk . Papa nimmt mich, hält mich fest, aber dann schlage ich nur weiter mit dem Kopf in die Luft. Ich muss schlagen, donnern, dröhnen, klopfen, aber Papa schließt mich in seine sicheren und starken und provozierenden Arme ein. Wenn er mich nach ein paar Minuten loslässt, dann renne ich sofort in den Keller und schlage die Ansteckung weiter raus, eins, zwei, drei, vier. Ich höre, wie Papa die Treppe hinunterläuft, aber ich schaffe es, die Tür abzuschließen, ehe er die Klinke zu fassen kriegt, und dann schlage ich weiter – eins, zwei, drei, vier, dunk, dunk, dunk, dunk . Ich höre Papa an die Tür klopfen. Ich höre ihn, aber höre ihn nicht. Weiß nicht, ob es meine Stirn ist, die dröhnt, als ich sie an die Wand schlage, oder ob es Papa ist, der von der anderen Seite an die Tür donnert. Ich mache einfach weiter, verzähle mich, muss von vorn anfangen, schlage weiter – dunk, dunk, dunk, dunk . Dann ein heftiges Krachen, als würde das Haus im Moment von einem Torpedo getroffen zusammenfallen. Papa steht vor mir. Er sieht mich an, er packt mich, hält mich ganz fest, schließt meine Arme und Beine ein, ich kann mich nicht rühren. Er hat wunde Fäuste, er schwitzt, und er tritt gegen das, was noch vor wenigen Sekunden die Tür zu meinem Zimmer war. Und jetzt hält er mich fest. Fest, so unendlich fest, hält er mich. Ich schlage mit dem Kopf in die Luft. »Ein letztes Mal, ein letztes Mal!«, schreie ich. Papa lässt mich los, ich schlage mit dem Kopf an die Wand, zum vierten und letzten Mal. Dann nimmt er mich wieder, hebt mich hoch, trägt mich zum Bett. Und jetzt lässt er nicht los. Ich kriege kaum Luft, aber er lässt mich nicht los.

    Ich weiß nicht, ob Papa schwitzt oder weint. Er hält mich mit dem linken Arm fest, während er sich gleichzeitig nach vorn beugt, so weit, dass er an den Schalter von meiner Stereoanlage kommt. Als der Sportbericht im Radio beginnt, weine ich schon.

Doktor Brezel

    (1981, Trondheim) Wir werden den berühmten Chefarzt treffen. Eine Stunde hat er uns gegeben. Papa und ich fahren mit dem Taxi in seine Klinik, in einem Mazda 939 GL . Ich bin traurig. Nun sind wir einmal in der Großstadt, und da hätte ich doch wenigstens auf einen Volvo 264 oder einen Dodge Dart gehofft, nicht so einen japanischen Joghurtbecher. Das ist doch dasselbe Auto, das unser Sportlehrer fährt. Was für eine Enttäuschung, kein guter Start in den Tag.

    Der Taxifahrer ähnelt Frank Zappa, ist aber extrem viel hässlicher. Außerdem trägt er den größten Schnurrbart, den ich je gesehen habe, und ganz klar den breitesten Schnurrbart, den ich je gesehen habe. Wenn man seinen Kopf von hinten betrachtet, ragt der Schnurrbart auf beiden Seiten wie Tragflächen eines Flugzeugs heraus, nicht so wie Boeingtragflächen, aber ich muss schon sagen, weit entfernt ist es nicht davon.

    Nach einer halben Stunde biegen wir in ein großes Tor ein, das sich in einen großen Park öffnet, der zu einem gigantisch

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