Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Herr Tourette und ich

Herr Tourette und ich

Titel: Herr Tourette und ich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pelle Sandstrak
Vom Netzwerk:
sterbend ist … wie krank bin ich, wie sterbend bin ich?

    Woher weiß ich also, dass mein Gehirn lebt und gesund ist, und nicht sterbend und krank? Genau. Wenn es im Kopf weh tut, dann gehört er mir. Schmerz ist identisch mit Persönlichkeit – tut mir der Kopf weh, dann lebe ich. Tut er mir nicht weh, dann bin ich bereits angesteckt.

    Und woher weiß ich das? Donnere den Kopf an die Wand.

    Ich stehe aus dem Bett auf und gehe zur Wand neben dem Schreibtisch. Ich donnere den Kopf an die Wand. Einmal. Man merkt es im Kopf, es tut ein wenig weh. Aber nicht genug. Ich donnere den Kopf noch einmal gegen die Wand. Aha. Das fühlt sich besser an. Aber das Gehirn kann immer noch angesteckt und krank und sterbend sein. Ein drittes Mal, hart gegen die Wand. Au. Aber noch nicht genug. Ein viertes Mal, steinhart gegen die Wand. Gut. Es tut furchtbar weh, mir wird schwindlig, aber es tut im Kopf weh, das Gehirn kennt Schmerz, also lebt es. Ich bin nicht angesteckt.

    Papa ruft:

    »Hast du da geklopft?«

    Ich renne zurück zum Bett, ziehe die Decke über den Kopf, tue so, als würde ich schlafen.

    Papa macht die Tür auf.

    »Schläfst du?«

    Lange Pause.

    Papa macht die Tür wieder zu. Er geht ins Zimmer meiner großen Schwester, dann in das meiner kleinen Schwester. Als er wieder auf dem Weg die Treppe hinauf ist, stehe ich auf und donnere den Kopf viermal an die Wand, um auf der sicheren Seite zu sein. Ein weißes Licht flimmert an den Augen vorbei.

    Gut. Es tut im Kopf weh. Das Gehirn lebt. Ich bin nicht angesteckt.

    Ich lege mich wieder ins Bett. Die Hand unter dem Kopf, schaue zur Decke hinauf, merke, wie der angenehme Schmerz verschwindet, bin zufrieden. Kann aber nicht schlafen. Stattdessen zähle ich Piloten und Flugzeugturbinen. Ich gehe die ganze Boeing 747 durch. Aber ich kann immer noch nicht schlafen. Vielleicht ist die Ansteckung schon in den Kopf eingedrungen, den Nacken hinuntergewandert und ist jetzt gerade auf dem Weg nach vorn, zur Stirn, genau dahin, wo der Schlaf sitzen sollte. Wo ist die Ansteckung jetzt gerade? Bei uns zu Hause? In der Küche? Natürlich. Auf der Milchtüte. Na klar …

    Der Bürgermeister hat den Kopf seiner toten Tochter berührt, er hat die Ansteckung an den Fingern, von Gram gebeugt vergisst er, sich die Hände zu waschen, und der Bürgermeister mag Milch. Er geht in den Laden, fasst die Türklinke an, nimmt die Milch, nimmt das Geld, fasst wieder die Türklinke an. Und Mama oder Papa oder meine Schwestern wollen Milch kaufen. Sie fassen die Türklinke an, nehmen die Milch, nehmen das Geld entgegen, das der Bürgermeister der Frau an der Kasse gegeben hat, fassen wieder die Türklinke an, nehmen die Türklinke hier zu Hause, die Kühlschranktür, die Badezimmertür, die Klotür, den Fernseher, das Telefon, die Milchtüte.

    Wenn ich die Milchtüte anfasse, werde ich angesteckt, kriege Hirnhautentzündung und sterbe.

    Aber das spielt keine große Rolle, der Tod schreckt mich nicht. Das mit der Lokalzeitung ist schlimmer. Die werden vielleicht schreiben, dass ich gestorben bin, weil ich mit der Tochter des Bürgermeisters rumgemacht habe, und dass ich ein perverser mickriger Typ bin, der mit einem sterbenden Mädchen rummacht. In dieser Nacht schlafe ich um fünf Uhr ein. Da habe ich dann schon Papas Lachshandschuhe benutzt, die Milchtüte im Schnee versteckt und Geschirrspülmittel über den Schnee geschüttet … … damit die Vögel nicht die Milchtüte kaputthacken, die Milch trinken und angesteckt werden. Wenn die Vögel die Milch trinken, werden sie den Vogelkäfig meiner großen Schwester verseuchen. Sie wird den Käfig saubermachen, die verseuchte Vogelkacke ins Haus tragen, sie ins Spülbecken fallen lassen, in das wir unsere Gläser stellen, aus denen wir trinken und die jetzt mit Vogelkacke verseucht sind. Aber das Geschirrspülmittel verscheucht die Vögel, keiner von ihnen wagt, den Schnabel in den Gestank zu stecken. Gute Nacht.

    Am nächsten Morgen sind meine Schwestern verärgert, weil sie die Milch nicht finden können. Sie wissen, dass ich keine Milch trinke, und so stehe ich anfänglich nicht einmal unter Verdacht. Als ich dann nach und nach verdächtigt werde, sage ich es so, wie es ist: Die Möwe hat die Milch getrunken. Meine große Schwester haut mich mit der Fliegenklatsche auf den Oberschenkel … die Fliegenklatsche, die Fliegenklatsche, die Fliegenklatsche … die Fliegenklatsche tötet Fliegen – Zucken im Bauch, Panik . … Fliegen, die

Weitere Kostenlose Bücher