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Herr Tourette und ich

Herr Tourette und ich

Titel: Herr Tourette und ich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pelle Sandstrak
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und ich das ihre. Wir schreiben Tipps auf, rufen das Musikgeschäft in der Stadt an der Küste an, das auf unseren Wunsch Platten von unterschiedlichen Labels bestellt. Bis in den nächsten Plattenladen sind es für uns fünfzig Kilometer pro Strecke. Wenn der Plattenladen uns nicht helfen kann, dann bestellen wir direktimportierte LP s bei einer Versandfirma in Oslo. Die müssen sich ganz schön wundern über die Mengen von Qualitätsmusik, die Woche für Woche in dieses kleine Dorf oben im Norden geschickt wird.

    An manchen Abenden treffen sich nur Hugo und ich, an anderen die ganze Gruppe. Die anderen gründen auch zwei Bands, Efri Alfa und Sisters of Mercy. Ich ernenne mich selbst zum Produzenten und Manager. Auf dem alten Tandberg-Gerät meines Großvaters spiele ich mehrere Demobänder ein, die wir dann an die größten Plattenlabels des Landes verschicken werden, »wenn der Klang nur steinig genug ist«, wie Arild andauernd plappert.

    Wir spielen die Songs im Keller eines alten stillgelegten Bauernhofes ein. Der Sound wird hart, nicht steinig, sondern eher garagenmäßig. Unfreiwillig garagenmäßig, weil im Hintergrund die Garagentür des Nachbarn ärgerlich taktfest im aufkommenden Westwind mitdröhnt. Deshalb ist das Demoband niemals an Virgin Records geschickt worden, und das Land, ja, die Welt, ist um eine sehr ungewöhnliche Form von taktvollem Garagenrock betrogen worden.

    Ich bin inzwischen sehr gut darin, Zwänge und Tics zu verbergen. Ich habe gelernt, mir Ausweichmanöver auszudenken, und an guten Tagen schaffe ich es, das Ritualisieren aufzuschieben. Wenn ich es einmal nicht schaffe, die Rituale zu kontrollieren oder ein unerwartetes Geräusch oder eine Bewegung herausticst, dann kommentieren die anderen es auch nicht. Sie kümmern sich gar nicht sonderlich darum, wahrscheinlich denken sie, dass ich das erfinde oder aus Spaß mache, ein Witz. Und was sollten sie auch misstrauisch sein? Die Ausweichmanöver kosten viel Energie, aber ich kriege doppelt so viel zurück, wenn mir niemand auf die Schliche kommt. Klar merke ich, dass Mama immer länger mit Hugos Mutter redet, aber das kann ja auch daran liegen, dass die beiden die Einzigen im Dorf sind, die Hochsprache sprechen.

    Ich weiß, wie wichtig unsere New Romantics-Abende sind. Vielleicht wage ich nicht, das offen zuzugeben, aber sie sind ausschlaggebend dafür, dass ich nicht völlig aus dem Ruder laufe. Es ist alles dabei, was ich brauche – Hugo, Arild, Peter, Gunnar, Björn als Mitspieler. Prefab Sprout, Joy Division, New Order, Flash and the Pan, The Stranglers als Trainer.

Lillemor

    Lillemor ist ziemlich übergewichtig, fünfundsechzig Jahre alt, trägt einen engen weißen Küchenkittel, hat blaues oder graues Haar. Lillemor ist die Köchin der Schule, die unfreiwillige Schulpsychologin, aber vor allem ist sie die erste mobile Vertretung der Welt. Ich sehe sie überall. Sie springt ein, wo man es am wenigsten vermutet: an der Kasse, in der Bibliothek, am Delikatessentresen, als Bingoausruferin, als Organisatorin des Lachsfestivals.

    Der Schultag ist bald zu Ende, eine halbe Stunde noch, vielleicht zwanzig Minuten.

    Ich gehe an der Rückseite der Schwimmhalle entlang, lasse den Kopf hängen, fühle mich down. Immer öfter verliere ich die gute Laune, ich schaffe es auch nicht mehr, so oft zu lachen wie früher. Irgendetwas fehlt, vor allem Selbstvertrauen. Ich habe gesagt, ich müsse auf Toilette, doch das ist wie immer ein Ausweichmanöver. Ich sage das, weil ich mein Gedankensystem auslüften muss, ich muss ritualisieren und die Tics loslassen, wenn ich merke, dass Gerüche und Geräusche im Klassenzimmer zu stark werden. Auf Toilette zu müssen ist eine Ausrede, die meistens funktioniert, ich bin längst nicht der Einzige, der das herausgefunden hat. Ein Stück weiter auf dem Schulhof stehen, hinter einem Container versteckt, zwei Schüler und rauchen heimlich, zwei andere haben den Nachmittagsknutsch eingeleitet – und wir sind alle auf der Toilette.

    Ich bin am liebsten für mich allein. Ich laufe hinter der Schwimmhalle herum und bin wütend auf das meiste. Die Tics kann ich nicht erklären, nicht einmal mir selbst. Sie schießen einfach hoch, von innen, eine spontane und unerwartete Energie, die einfach rauskommen muss, sonst werde ich nervös und durchgedreht und wuselig. Die Tics sind auf dem Weg, es zuckt im Bauch und mein Energielevel sorgt dafür, dass ich einem leeren Plastikeimer einen ordentlichen Tritt versetze, so

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