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Herr Tourette und ich

Herr Tourette und ich

Titel: Herr Tourette und ich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pelle Sandstrak
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Freunden, übernachten woanders oder machen ihre Hausaufgaben bei Bekannten von Bekannten. Und Papa versucht, in der Nähe zu bleiben, versucht immer noch, zwischen mich und die Tür zu kommen, aber im Grunde ist es ein hoffnungsloser Kampf. Wenn es ihm gelingt, dann hört das Kopfschlagen ein paar Minuten lang auf, aber nur, wenn ich einen guten Tag habe. Sie tun, was sie können, um Hilfe zu bekommen. Suchen in Zeitungen, telefonieren, nehmen Kontakt zu jemandem auf, der die Kollegen von bekannten Bekannten kennt. Wieder und wieder versuchen sie, eine medizinische Untersuchung zu veranlassen, damit sie wenigsten wissen, dass das Körperliche in Ordnung ist, dass mir keine Mineralien fehlen oder ich irgendwelche unbekannten physischen Beschwerden habe, die psychische Symptome mit sich bringen können, wie Kojak es ja behauptet hat. Aber sie kriegen nur zu hören, dass eine medizinische Untersuchung nicht erforderlich ist, außerdem gibt es keine freien Betten. Im Moment. Die Frustration wächst mit jedem Termin, Telefongespräch, Brief oder Kontakt. Ist er denn der einzige Junge auf der Welt, der seinen Kopf an die Wand donnert, unkontrollierte Impulse hat, Konzentrationsschwierigkeiten und Gedankenverwirrung? Paranoide Persönlichkeitsstörung oder Pubertät? Oder Tourette? Nein, nicht Tourette. Denn das haben wir hier nicht.

    Wie immer ist der Frühling die schlimmste Zeit, der Herbst die beste. Im Herbst gibt es manchmal mehrere Wochen ohne größere Beschwerden. Diese Wochen sind für meine Familie das reinste Paradies. Wir essen gemeinsam, wir sehen fern, arbeiten im Garten, lachen. Bis die Hölle wieder einkehrt. Es kann eine kleine Sache sein, die ein Erbeben verursacht – ein Kampf in der Schule, eine schlechte Note, ein Gedanke an Ingrid, Milch, Salami, Kaviar. Und dann geht es wieder los. Papa versucht, wenn die Höllenwochen wieder anfangen, mit mir nach Mosjøen zu fahren. Ich bitte die Familie, den anderen in der Schule nicht vom Ticsen und den Zwängen zu erzählen. Ich fange an, mich zu schämen, halte mich selbst für einen Idioten, an der Grenze zum hoffnungslosen Idioten, und ich will nicht, dass die anderen in der Klasse den hoffnungslosen Idioten auf dem Präsentierteller serviert bekommen.

    In Mosjøen kann ich wieder Kontakt zu meinem alten Ich aufnehmen, zumindest ein wenig. Ich schaue den Schiffen nach, schlendere am Hafen entlang, rede mit Leuten, die ich nicht kenne, spiele Backgammon, esse Würstchen mit Senf. Es geht mir gut, nicht prima, aber über ein paar leichtere Kopfschläge am Tag kann man doch hinwegsehen. Es geht mir ganz einfach so gut, wie es mir gehen kann. Bis wir wieder ins Dorf zurückfahren müssen. Wo alles weitergeht. Ich fange auch an, mich öfter und länger zu waschen. Habe Angst vor Schmutz und Bazillen. Eine gewöhnliche Handwäsche dauert jetzt mindestens vierzig Minuten, eine Dusche eine gute Stunde – wenn ich einen guten Tag habe.

    In der Schule fragt Line, warum ich denn Beulen auf der Stirn habe.

    »Die Pubertät«, antworte ich.

Timeout

    Wir sind eine Gruppe von vier, fünf Jungs, die sich alle unglaublich langweilen und denen es einfach nicht mehr genügt, den Lachsen beim Wandern zuzugucken. Wir entdecken unsere eigene Welt, und zwar in entschiedenem Abstand von der Sportmafia und der eifrigen Naturjugendgang.

    Wir haben ein ungewöhnlich großes und kompetentes Musikinteresse. Mehrere Male im Monat treffen wir uns zu Hause bei einem von uns und machen Musik. Wir trinken Kaffee und Bier, analysieren, wir reden über richtige Sachen, lachen an der richtigen Stelle und lassen bei jedem Lied der Stille ihren Raum. Wir sind wahrscheinlich die ersten New Romantics des Bezirks, ja, des ganzen Landes.

    Und ich mag das, ich mag sie, sie werden zu meinem eigenen Timeout von all dem Kranken.

    Wir wechseln uns ab mit dem Ausrichten des Abends. So gut es geht, versuche ich zu vermeiden, dass sie bei mir zu Hause stattfinden. Mein Zimmer besteht aus attraktiven Türen und Wänden, an die man den Kopf schlagen kann, die Heimatzone ist einfach zu gefährlich, da kann ich den Fokus verlieren, krank werden, mich verraten. Meist treffen wir uns bei Hugo. Die haben ein großes Haus mitten im Zentrum, sein Papa betreibt das einzige Café des Dorfes, und die Familie ist es gewohnt, dass Leute da sind, und verhält sich ungewöhnlich sozial. Wir bleiben stundenlang hocken, der Abend wird zur Nacht, die Nacht zur Dämmerung. Meine Freunde belauschen mein Musikwissen

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