Herr Tourette und ich
auftauchen und mit den Zwängen Pingpong spielen, was nur in einer ticsig unkontrollierten Wortkaskade gegen den Kunden enden kann.
Zucken im Bauch, Geräusch .
»Du verdammter Halbjesus, wie zum Teufel kannst du nur diesen Pubertätsschmalz mögen, schieb die Platte in die Schleifmaschine und schütte Dickmilch drauf, dann hast du dein Lieblingsfrühstück.«
»Kann ich hier mal den Chef sprechen?«, ruft der Kunde.
Johansen kommt, rotes Gesicht, offener Mund, verwirrter Blick.
Und in diesem Moment komme ich los, schaffe es, nach dem achtzehnten Versuch, die Türschwelle zu überqueren – Zucken im Bauch, Geräusch . Ich gehe schnell zu dem Kunden, lege ihm die Hand auf die Schulter und sage:
»Äh … Spaß beiseite.«
Aber weder Johansen noch der Kunde, der schon den Laden verlassen hat, kaufen mir den Witz ab. Johansen bittet mich, nach der Mittagspause in sein Büro zu kommen.
Eine Stunde später. Nach der Mittagspause.
Das Büro von Johansen.
Ein Lederstuhl, ein Schreibtisch, Bestellformulare, Ordner, Platten, zwei Telefone, ein Faxgerät. Stifte und Filzer liegen ordentlich in einer Kiste, die an Oskars Vesperdose zu Hause im Dorf erinnert. An der Wand hinter ihm hängen drei verschiedene Plakate, zwei von Fleetwood Mac, eins von Debbie Harry. Johansen streicht sich mit der Hand über die Haare im Nacken. Er schreibt etwas auf und redet gleichzeitig mit mir:
»Es fehlen uns massenhaft Singles …«
»Singles?«
»Es fehlen uns mindestens zwanzig Singles, für die wir kein Geld eingenommen haben. Alle Soft-Cell-Singles sind weg, und dann die meisten von Ultravox und die Sammeledition mit Synthie-Pop.«
»Wie gut.«
»Gut?«
»Wie gut, dass die Kunden sich langsam einen guten Musikgeschmack zulegen.«
»Es ist überhaupt nicht gut, wenn die Kunden nicht kaufen dürfen, was sie haben wollen. Es hat jemand angerufen und gesagt, du hättest ihn gezwungen, eine Sammel- LP mit Synthie-Pop zu kaufen statt der neuesten Platte von Chicago, die er eigentlich haben wollte. Und dann hätte er zum Dank eine Single von Chicago gratis bekommen.«
»Ich habe Platten für genauso viel Geld verkauft, wie wir mit den verdammten Chicago-Platten eingenommen hätten.«
»Aber es geht nicht um Geld.«
»Nicht?«
»Nicht immer. Wir können es uns nicht leisten, Kunden zu verlieren, nur weil dir ihr Musikgeschmack nicht gefällt.«
»Nicht? Dann muss ich mir eine andere Taktik ausdenken.«
»Nein, das musst du nicht.«
»Wie gut.«
»Gut?«
»Wie gut, dass ich mir keine andere Taktik ausdenken muss.«
»Du musst auch nicht mehr herkommen.«
Lange Pause.
Johansen fährt fort:
»Noch Fragen?«
Zucken im Bauch .
Ich murmele:
»Wenn du dann mal einen richtigen Pferdeschwanz hast, dann komme ich nachts an dein Bett und schneide dir den mit den Zähnen ab.«
»Was hast du gesagt?«, fragt Johansen.
»Ich habe gesagt … darf ich die Karte für die Personalkantine behalten?«
Darf ich nicht. Aus Sicherheitsgründen.
Psychotherapeut Nummer 5
Ich lebe von Brot und Sirup, esse zweimal in der Woche warm. Warmes Essen, das sind Pizzastücke und Würstchen, und jeden Samstag Rippchen. Ich kaufe ein paar Kilo gegrillter Rippchen, die ich dann den ganzen Monat lang abnage, und ich stelle fest, dass sie kalt mindestens ebenso gut schmecken wie warm. Ich trinke Kaffee, manchmal Tee, aber hauptsächlich Saft. Keine Ahnung, warum ich so große Mengen Saft trinke, aber vielleicht ist es einfach so, dass ich eine Boeing 747 bin und der Saft mein Treibstoff. Diese Erklärung gefällt mir selbst am besten. Ich lebe unfreiwillig geizig, geize, ohne mir dessen bewusst zu sein. Jeden Tag kaufe ich dieselbe Sorte Essen, Monat für Monat, denn das scheint mir ein wenig Gedankenruhe zu verschaffen.
Mein ganzes Vermögen trage ich am Körper – die Hemden, das Haargel, die Lederschuhe und zehn zusammengerollte Hunderter, die ordentlich und einladend in der linken Innentasche des Mantels liegen, in der ohne Loch. Ein blauer Schnürsenkel hält das Geldscheinbündel zusammen. Ich habe keinen Geldbeutel und kein Bankkonto, warum sollte ich auch. Ich habe keinen Job mehr und brauche Geld. Meine Eltern schicken Geld, das ich für die Therapie verwenden soll. Sie versuchen, mich anzurufen, und wählen die Nummer der alten Dame, bei der ich wohne, aber ich bin nur selten zu Hause. Die Dame hinterlässt mehrmals in der Woche kleine gelbe Post-it-Zettel an meiner Tür – dein Vater hat um 15.00
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