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Herr Tourette und ich

Herr Tourette und ich

Titel: Herr Tourette und ich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pelle Sandstrak
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aus eigener Initiative, was ganz und gar nicht dasselbe ist, wie aufzugeben. Zwei Wochen sklavisches Schuften gibt immer noch ziemlich gutes Geld, ziemlich gutes Geld, um mindestens zwei Monate davon zu leben.

    Ich kriege einen Job als Post- und Botenjunge in einem kleineren Anwaltsbüro, aber da gibt es zu viele Türschwellen und zu viele Menschen, die viel zu viele Briefe mit viel zu vielen x, z und y darauf verschicken, so dass ich es dort nur eine Woche aushalte. Dann schleppe ich unten im Hafen Zement- und Mehlsäcke, zwei Schichten täglich. Die Säcke müssen von Containern zu Eisenbahnwaggons geschleppt werden. Es vergehen nicht mehr als drei Tage, bis ich einsehe, dass dies im Prinzip derselbe Job ist wie in der Bäckerei, man muss nur Zimtschnecken durch Zementsäcke ersetzen und fünfzig Kilo und einen schmerzenden Rücken dazutun, dann hat man dieselbe Monotonie, denselben Johansen mit demselben Büro. Eine knappe Woche schleppe ich Zementsäcke, bis die Zwänge und Rituale mich einholen und die Arbeit wieder zur reinsten Hölle machen. Und ich tische wieder dieselbe Geschichte auf: »Ich muss leider nach Hause fahren, meine Freundin ist schwanger geworden … na, Sie verstehen schon.« Und alle verstehen. Es scheint bei meiner verbalen Kündigung auch niemand traurig zu sein. Niemand sinkt auf die Knie und bittet mich, zu bleiben. Alle Buddha- und Lügnerjobs sind gleich – zu viele Gefahren der Ansteckung, zu viele Menschen, Atemgerüche, Finger, Lagerräume, pedantische Arbeitgeber.

    Ich habe auch keine Chance, meine Studien an der Nationalen Tontechnikerschule fortzusetzen. Ich komme nicht mehr rechtzeitig durch die Türen und bin zudem in allen Fächern, außer in verbaler Mikrofontechnik, nicht ausreichend. Ben und ich sehen uns jetzt nur noch im Funk. Ich schaffe es nicht mehr, ihn in den Cafés zu treffen. Also erzähle ich, dass ich Überstunden mache, Platten aufnehme oder an Ideen für neue Radioshows schreiben würde. Ich wage nicht zu erzählen, dass der Weg zum Café das Problem ist – die Türschwellen, die Türklinken, die Bürgersteigkanten, die Wiederholungen. Was vor zwei Monaten noch eine halbe Stunde dauerte, nimmt jetzt zwei Stunden in Anspruch. Ich rufe Ben an und erkläre meinen Entschluss, die Schule zu verlassen, damit, dass ich alle Energie darauf verwenden will, Radiosprecher zu werden. Er ist meiner Meinung, findet, dass ich ja sowieso nicht die Wahnsinnsbegeisterung für Tontechnik gezeigt hätte, zumindest nicht dieselbe Begeisterung wie die Walrossgruppe. Wir lachen. Ich kann lachen. Ich kann zumindest lachen, ohne vorher ritualisieren zu müssen. Schön. In dieser Zeit verliebt sich Ben in eine Bankangestellte, was die Sache für mich einfacher macht. Ich muss nicht lügen und Ausreden erfinden, um mich nicht mit ihm in Cafés oder nach der Arbeit auf ein Bier treffen zu müssen. Ben ist in vieler Hinsicht mein letzter sozialer Kontakt, ihn zu verlieren würde mich noch mehr von der Umwelt isolieren, vor allem, da ich jetzt weder eine Arbeit noch die Schule habe.

    Wenn ich in der Stadt unterwegs bin, versuche ich, die Zwangsrituale und Tics so weit wie möglich dadurch zu unterdrücken, dass ich herumalbere und improvisiere. Ich weiß es nicht sicher, aber die meisten scheinen mir meine Ausflüchte abzukaufen, zumindest stellt niemand sie in Frage. Zu Hause gibt es kein unfreiwilliges Publikum, nur das Bett, den Tisch, die Kochplatte, den Fernseher und die kleine Dame in der Wohnung über mir. Sie grüßt mich immer freundlich, aber es ist, als hätte sie einen Verdacht, als würde sie hinter mir herspionieren, wenn ich nach Hause komme oder weggehe. Sie muss ja gesehen haben, wie ich das Bein strecke, den linken Fuß hebe, zähle, alles vier x vier x vier Mal wiederhole, und das nur wenige Meter von ihrer eigenen Tür entfernt. Aber sie sagt nichts. Meist ist sie kurz angebunden, spricht vom Wetter, von der Skiweltmeisterschaft und dem Mord an Olof Palme, der immer noch nicht aufgeklärt ist. In meinem Zimmer fühle ich die Rituale stärker und drängender als in der Stadt. Zu Hause entkomme ich nicht, niemand sieht mich, ich kann so lange und so viel und so ausgefeilt ritualisieren, zwangshandeln und ticsen, wie ich will. Alles kreist darum, wie ich die Rituale ausführe, wie sie aussehen, wie effektiv sie sind, wie glaubwürdig … und wenn sie nicht hundertprozentig glaubwürdig sind, dann müssen sie vier Mal wiederholt werden … und wenn ich es nach vier Mal

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