Herren der Tiefe
auf der Erde zu geben
schien – zumindest hatte Mike niemals davon gehört. Was wie
Gras aussah, das erwies sich als weicher, dicht gewebter Teppich aus einer Art Algen, auf dem sich sehr angenehm gehen
ließ, der sich aber auch immer ein wenig feucht anfühlte und
der bei jedem Schritt merklich unter ihrem Gewicht federte. Die
Büsche waren große, in bunten Farben leuchtende Korallengewächse, und das gleiche galt für die Bäume: Es waren keine Bäume, sondern riesige Seeanemonen und -rosen, die in dichten Gruppen beieinanderstanden und eine Art Wald bildeten, der
einen Großteil des Hügels bedeckte.
An seinem Fuß schlängelte sich ein schmaler, sehr
schnell
fließender Bach entlang, über den eine gemauerte Brücke führte. Als Denholm und seine Begleiter sie betraten, blieb Mike
stehen und deutete dorthin, wo sich die Türme der Riesenstadt
über die Wipfel des Korallenwaldes erhoben. Der Weg, der an
die Brücke anschloß, führte genau in die entgegengesetzte Richtung.
»Wieso gehen wir nicht dort entlang?« fragte er.
Auch die anderen blieben stehen. Ein überraschter Ausdruck
erschien auf Denholms Gesicht, als er erst ihn, dann Trautman
ansah. »Du hast es ihm nicht erzählt?« fragte er.
»Es hat sich noch keine günstige Gelegenheit dazu ergeben«,
antwortete Trautman ausweichend.
Denholm sah nicht besonders begeistert drein. Aber er
ging
nicht auf das ein, was Trautman gesagt hatte, sondern wandte
sich direkt an Mike.
»Nein, wir gehen nicht dorthin«, sagte er. »Das ist die Alte
Stadt. Wir betreten sie nie, wenn es nicht unbedingt nötig ist.
Es ist gefährlich.«
»Gefährlich?«
»Die Fischmenschen leben dort«, erklärte Denholm.
»Sie
sind unsere Feinde. Aber keine Angst«, fügte er schnell hinzu.
»Sie kommen nur sehr selten hierher. Die Alte Stadt liegt auf
der anderen Seite der Bucht, und der Weg ist sehr weit.«
»Eure Feinde, so«, murmelte Mike, als sie weitergingen.
»Gibt es da vielleicht noch ein paar Kleinigkeiten, die Sie mir
noch nicht erzählt haben, Trautman?«
»Ja«, gestand Trautman, ohne ihn anzusehen. »Aber du wirst
gleich alles selbst sehen. Das ist viel einfacher, als es dir zu
erklären.«
Das war nicht das, was Mike hören wollte – aber er kannte
Trautman auch gut genug, um zu wissen, daß es das einzige war,
war er jetzt hören würde, und so faßte er sich in Geduld, so
schwer es ihm auch fiel.
Der Weg war nicht mehr sehr weit. Auf einer Strecke von fünf
oder sechs Minuten wurde der seltsame Korallenwald noch einmal so dicht, daß sie schließlich am Grunde eines in den leuchtendsten Farben schimmernden Tunnels entlangzugehen schienen, dann traten die Bäume wieder auseinander, und vor ihnen breitete
sich eine gut zwei Meilen messende, kreisrunde
Lichtung aus, auf der Denholms Stadt lag.
Um ein Haar hätte Mike vor Enttäuschung laut aufgestöhnt.
Was Denholm in einem Anfall von Größenwahn als Stadt bezeichnet hatte, das war eine Ansammlung ärmlicher, primitiver
Hütten, die aus Holz, Korallen, grünen Blättergewächsen,
Treibholz und einer Menge anderer nur vorstellbarer abenteuerlicher Materialien zusammengesetzt war. Keine der Behausungen glich der anderen, keine war höher als ein Stockwerk, und
keine hatte auch nur Ähnlichkeit mit etwas, was Mike mit gutem Gewissen als Haus bezeichnet hätte.
»Das ist… eure Stadt?« fragte er zögernd.
»Unsere Stadt«, korrigierte ihn Denholm. »Auch ihr werdet
hier leben – wenn ihr es wollt. Natürlich könnt ihr euch auch
woanders ansiedeln, aber die meisten ziehen es vor, sich einen
Platz hier in der Stadt zu suchen. Unsere Gemeinschaft legt großen Wert auf Zusammenhalt, mußt du wissen. Aber wir zwingen
niemanden.«
»Wie beruhigend«, murmelte Mike. Er wußte nicht, ob er in
Tränen oder in schallendes Gelächter ausbrechen sollte. Aber er
verstand jetzt, warum ihm Trautman bisher nichts von dieser Stadt erzählt hatte.
Offenbar hatte er sich nicht so gut in der Gewalt, wie er selbst
glaubte, denn Denholm fuhr in entschuldigendem Tonfall fort:
»Ich weiß, auf den ersten Blick sieht sie klein aus und ein wenig einfach. Aber du darfst dich nicht vom äußeren Anschein
täuschen lassen. Wir haben hier alles, was wir brauchen – Wasser, ausreichend Nahrung und einen sicheren Platz für jeden.
Und der Wald bietet uns einen besseren Schutz vor den Fischmenschen, als jede künstliche Festung es könnte. Du kannst dir
alles in Ruhe ansehen und später entscheiden. Wir haben Zeit
genug.«
Als
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