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Herren der Tiefe

Herren der Tiefe

Titel: Herren der Tiefe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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ungeschickte Abbildung eines großen Fisches hielt, bis es ihm wie Schuppen von den Augen fiel und ihm klar wurde, wieso ihm die schlanken Linien, die
mächtige, kantige Schwanzflosse und der gezackte Speer an seinem vorderen Ende so vertraut vorkamen. Das Bild zeigte die
NAUTILUS; oder zumindest ein Schiff, das ihr zum Verwechseln
ähnlich sah. Aber noch ehe er aus dem Erstaunen heraus war,
gewahrte er eine zweite Darstellung, die ihm noch viel vertrauter vorkam und bei deren Anblick er erschrocken zusammenfuhr.
Eine der menschlichen Figuren war übergroß. Sie befand sich
genau in der Mitte des Bildes, und sie zeigte eine schlanke Frauengestalt in einem langen, fließenden Gewand und mit schulterlangem, gelocktem Haar – und mit Serenas Gesicht!
»Aber das ist doch nicht möglich!« murmelte er.
»Dieser große Stein stand bereits hier, als die ersten unserer
Vorfahren eintrafen«, sagte Denholm. Er hatte die Stimme zu
einem fast ehrfürchtig klingenden Flüstern gesenkt. »Niemand
weiß, wer ihn hier aufgestellt hat und warum. Aber die Geschichte, die er erzählt, ist die des Volkes, das all das hier erschaffen hat.«
Mike starrte immer noch fassungslos die gemeißelte Gestalt
an. Es war nicht Serena, das erkannte er jetzt. Das Bild zeigte
eine erwachsene Frau, kein Mädchen von nicht ganz fünfzehn
Jahren – und trotzdem trug sie so zweifelsfrei Serenas Züge, als
hätte die atlantische Prinzessin dem unbekannten Künstler dieses Bildes Modell gestanden.
»Das… das ist phantastisch«, flüsterte Mike, und obwohl es
ihm immer noch nicht gelang, den Blick von dem Relief zu
lösen, sah er doch aus den Augenwinkeln, wie Denholm den
Kopf schüttelte.
»Es ist mehr als das«, sagte er. »Es ist vielleicht der Grund,
aus dem wir hier leben können.«
Mike riß sich von dem Bild los und sah Denholm verständnislos an. »Wie meinst du das?«
Denholm blickte ihn, dann die anderen, die ihnen gefolgt, jedoch vor der Tür stehengeblieben waren, sehr ernst und eindringlich an. »Glaubt bitte nicht, daß ich nicht weiß, wie ihr
euch fühlt«, sagte er. »Ihr seid sehr tapfer und versucht, es euch
nicht anmerken zu lassen, doch in Wahrheit seid ihr zutiefst verzweifelt. Ich weiß es, weil es jedem so ergeht, der hier herunterkommt. Niemand kann je wieder von hier fort, wißt ihr? Diese
Welt bietet uns alles, was wir zum Überleben brauchen, aber sie
ist auch ein Gefängnis. Und es ergeht allen, die hierherkommen,
so wie euch.«
Mike wollte widersprechen, doch Denholm brachte ihn mit einer energischen Geste zum Verstummen. »Ich habe die Welt, aus
der ihr stammt, nie selbst gesehen«, sagte er, »denn ich bin
hier unten geboren worden. Doch ich kenne sie aus den Erzählungen derer, die vor euch kamen, gut genug, um zu wissen, wie
euch das alles hier erscheinen muß. Doch ihr findet hier andere
Menschen vor, Menschen, die euch helfen. Aber die allerersten
unserer Vorfahren, die hierher gelangten, waren allein. Sie hatten niemanden, der ihnen half, niemanden, der sie aufnahm und
ihr Freund sein wollte. Sie fanden sich gestrandet und eingesperrt an einem Ort, aus dem kein Weg wieder herausführt.
Vielleicht hätten sie es nicht geschafft, zu überleben und all dies
hier zu errichten, ohne dies.« Er wies auf das Bild, und Mikes
Blick folgte der Geste. Erneut nahm ihn das Relief und vor allem
die weibliche Gestalt in seiner Mitte sofort gefangen.
»Es ist die Geschichte, die dieses Bild erzählt, die uns Kraft
gab«, fuhr Denholm fort. »Die Geschichte eines Volkes wie wir,
das hierherkam und all diese Wunder erschuf und das wieder
verschwand, lange bevor der erste von uns diesen Boden betrat.
Aber wir haben immer gewußt, daß sie eines Tages zurückkehren würden. Es war dieses Wissen, das unseren Vorfahren die
Kraft gab, zu überleben.«
Es fiel Mike schwer, Denholms Worten zu folgen. Er blickte
die Frau mit Serenas Gesicht an, und ihm schossen Hunderte
von möglichen Erklärungen für das eigentlich Unmögliche durch
den Kopf, eine phantastischer als die andere. Und er erinnerte
sich wieder daran, wie die Männer an Bord der NAUTILUS vor
Serena auf die Knie gesunken waren, und als er begriff, warum
sie es getan hatten, da überlief ihn ein eisiges Frösteln. »Du
meinst, deine Leute…« Er hatte Hemmungen, die Worte auszusprechen. »… deine Leute beten Serena an?«
Denholm lächelte. »Nein«, sagte er. »Das sicher nicht.
Doch
wir haben stets gehofft, daß die, die diese Welt einst erschaffen

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