Herren der Tiefe
künstliche Licht
der unterseeischen Welt durch zahllose Ritzen und Spalten
hereindrang, aber diese Beleuchtung hatte einen sehr sonderbaren Nebeneffekt: Das Licht, das in dünnen Streifen und Bahnen
von der Decke strömte, zerschnitt den Raum in ein ungleichmäßiges Schachbrettmuster aus Hell und Dunkel, in dem
Mike im ersten Moment überhaupt nichts erkannte. Erst als
Denholm an ihm vorbeiging und ihn mit einer Geste aufforderte,
ihm zu folgen, begann aus den Schatten Umrisse zu werden. Es
war kein Wohnhaus, kein Gebäude für Menschen, sondern wohl
viel mehr eine Art Lager. Mike erkannte eine Anzahl großer
Kisten und Schränke, und an der Wand neben der Tür stand
sogar eine uralte Glasvitrine, die wohl wie das meiste hier aus
einem der gestrandeten Schiffe stammen mußte.
»Dies hier ist unser…« Denholm zögerte, und ehe er weitersprach, stahl sich ein flüchtiges Lächeln auf seine Lippen. »Museum, wenn du so willst. Wir haben in diesem Raum alles zusammengetragen, worauf sich unser Wissen über die ursprünglichen Bewohner dieser Welt stützt.«
Die Worte weckten Mikes Neugier, und so trat er an die gläserne Vitrine heran und betrachtete ihren Inhalt. Es war eine Enttäuschung. Was dort sorgsam auf kleinen blauen und roten
Samtkissen ausgelegt war, das kam ihm auf den ersten Blick
wie ein sinnloses Sammelsurium aus Stein- und Metallsplittern,
aus verbogenen Trümmern und mit sinnlosem Gekrakel bedeckten Papierfetzen vor.
»Es ist nicht viel«, sagte Denholm. »Die ersten Menschen, die
hier herunterkamen, fanden diese Welt fast so vor, wie du sie
auch heute noch siehst. Vor uns müssen andere hiergewesen
sein, aber sie haben nicht viel hinterlassen. Das da ist alles, was
wir im Laufe der Jahrhunderte von ihnen gefunden haben.« Er
machte eine ausholende Geste, die die Vitrine und das halbe
Dutzend Truhen und Kisten einschloß, und Mike trat von dem
Glasschrank zurück und begutachtete der Reihe nach auch den
Inhalt der anderen Behältnisse. Es gab etwas, was an einen verbeulten und fast bis zur Unkenntlichkeit verrosteten Taucherhelm erinnerte, wie sie sie auch an Bord der NAUTILUS hatten,
ein paar Fetzen eines seltsam metallisch schimmernden Stoffes
und noch das eine oder andere, das ihm vage bekannt vorkam.
Das allermeiste jedoch ergab für ihn weder einen Sinn, noch
schien es in irgendeiner Weise interessant – und wirkte schon
gar nicht wie die Hinterlassenschaft eines Volkes, das mächtig
genug gewesen sein mußte, diese künstliche Welt am Grunde des
Meeres zu schaffen.
»Und was«, begann er zögernd, »hat das alles mit Serena zu
tun?«
Denholm lächelte. Er wies auf die hintere Wand des Gebäudes,
die einzige, die aus gemauertem Stein bestand. Der Vorhang aus
Licht und Schatten entzog sie noch immer Mikes Blicken, aber
auf Denholms Aufforderung hin trat er langsam darauf zu.
Jetzt erlebte er wirklich eine Überraschung. Was ihm auf den
ersten Blick wie die willkürlichen Unebenheiten der steinernen
Oberfläche vorgekommen war, das entpuppte sich bei näherem
Hinsehen als ein gewaltiges, mit großer Kunstfertigkeit in die
zwei Meter hohe und sicherlich dreimal so breite Wand hineingemeißeltes Relief. Er sah Bilder von Menschen und Tieren,
einige davon vertraut, andere aber so fremdartig und erschrekkend, daß er sich weigerte zu glauben, daß es irgendwo auf dieser
Welt Wesen wie die hier abgebildeten geben konnte, Bilder von
Städten und Gebäuden, von Maschinen und Fahrzeugen, von
Schiffen. Und dieses gewaltige Relief war mehr als nur ein
beeindruckendes Kunstwerk. Es erzählte eine Geschichte. Und
auch, wenn er sie nicht wirklich zu verstehen imstande war, so
begriff er doch ihre Bedeutung.
Vielleicht, weil er vieles von dem, was er da vor sich hatte,
kannte. Er hatte nichts davon jemals wirklich gesehen, und
trotzdem war ihm das allerwenigste fremd.
Der Gedanke war so verwirrend, daß ihm im ersten Moment
schwindelte. Wie konnte er sich an etwas erinnern, was er niemals gesehen hatte? Und als wäre dieser Gedanke ein Auslöser
gewesen, begriff er plötzlich, daß das nicht stimmte. Er hatte diese Dinge schon einmal gesehen, nicht mit seinen eigenen
Augen, aber in den Visionen, die ihn geplagt hatten, als er im
Fieber lag und Astaroths Träume teilte. Was das Bild zeigte,
das ähnelte verblüffend dem, was ihm der Geist des Katers über
das versunkene Atlantis gezeigt hatte.
Zwei Dinge erregten seine besondere Aufmerksamkeit. Das eine war etwas, was er zuerst für die
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