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Herren der Tiefe

Herren der Tiefe

Titel: Herren der Tiefe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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allgemeinen gehen sie uns aus dem Weg, so wie wir ihnen. Es
heißt, daß es einmal einen Krieg zwischen uns und ihnen gegeben haben soll, aber niemand weiß heute noch, ob das stimmt.«
»Aber die Männer erzählten, daß sie vorhin unten am Strand
gewe –« begann Mike, aber Sarah unterbrach ihn, indem sie
die Hand hob und ein paarmal den Kopf schüttelte.
»Das fragst du am besten meinen Vater«, sagte sie. »In
den
letzten Tagen ist… einiges geschehen. Vieles hat sich geändert.« Und nicht unbedingt zum Guten, fügte ihr Blick hinzu.
Dann zwang sie sich zu einem Lächeln und wechselte das Thema. »Aber jetzt bist du dran, zu antworten. André hat mir schon
so viel von dir erzählt, daß ich es kaum noch abwarten konnte,
dich kennenzulernen. Das Schiff, mit dem ihr gekommen seid –
kann es tatsächlich unter Wasser fahren?«
    Ohne eine Sonne, die sich am Himmel bewegte, war es schwer,
das Verstreichen der Zeit zu messen, aber Mike schätzte, daß
sie länger als zwei Stunden dasaßen und redeten. Sarah erwies
sich als sehr ungeduldige Zuhörerin, denn sie stellte unentwegt
neue Fragen und ließ ihm kaum Zeit, sie zu beantworten, ehe
sie ihn auch schon wieder unterbrach und etwas anderes wissen
wollte. Am Anfang ging Mike dies auf die Nerven –
eigentlich
war er hierher gekommen, um Fragen zu stellen, nicht um welche zu beantworten. Aber er begriff bald, daß das, was er zu
erzählen hatte, für das Mädchen ungleich faszinierender sein
mußte als das, was er bisher von ihrer Welt gesehen hatte. Er
fand kaum Gelegenheit, selbst eine Frage zu stellen, aber er erfuhr immerhin, daß Sarah – ebenso wie ihre Eltern – nicht mit
einem Schiff hierhergekommen, sondern hier unten geboren
war. Sie hatte zeit ihres Lebens niemals etwas anderes gesehen
als diesen Ort, den Korallenwald und den schmalen, hügeligen
Streifen, der diese Hälfte der unterseeischen Welt von der trennte, in der die Alte Stadt lag und die den Fischmenschen gehörte.
    Sie hatte niemals mehr als diese wenigen Dutzend Menschen
getroffen, und sie hatte niemals den Himmel gesehen. Sie wußte
weder, was das Wort »Nacht« bedeutete, noch was Wolken waren, Regen, Schnee oder Kälte. Und so mußte jedes Wort, das
Mike erzählte, völlig neu und faszinierend für sie sein. Obwohl
sie das allermeiste von dem, was er von der Welt über dem Meer
und ihren Bewohnern zu berichten hatte, sicher schon von André und den anderen gehört hatte, hingen ihre Blicke wie
gebannt an seinen Lippen, und er konnte regelrecht spüren, wie
sie jedes Wort wie einen kostbaren Schatz aufnahm, um ihn tief
in sich für den Rest ihres Lebens zu bewahren.
    Sosehr es Mike auch freute, mit dem Mädchen zu reden und ihre schier unstillbare Neugier zu befriedigen, erfüllte ihn das
Gespräch doch bald mit Unbehagen und schließlich mit Trauer.
Denn obwohl Sarah es nicht sagte – und ihm auch kaum Gelegenheit gab, selbst eine entsprechende Frage zu stellen –, wurde
ihm wieder deutlich, was all diese Menschen hier unten waren:
nichts anderes als Gefangene. Denholm – und seltsamerweise
auch Trautman – hatte versucht, diese Welt unter dem Meer als
so etwas wie ein kleines Paradies darzustellen, dessen Bewohner in Frieden und sorglos leben konnten. Aber diese Behauptung hatte ja nicht einmal Mikes erstem, noch flüchtigem Hinsehen standgehalten.
    Schließlich hörte Mike auf, zu erzählen, und obwohl er Sarah
deutlich ansehen konnte, wie sehr sie dies bedauerte, versuchte
sie nicht, ihn zum Weiterreden zu bewegen, sondern kuschelte
sich nur eng an Andres Schulter und schloß für einen Moment
die Augen. Auf Andres Gesicht breitete sich ein leises, aber sehr
warmes Lächeln aus. Mit einer ganz selbstverständlichen Bewegung legte er den Arm um die Schulter des Mädchens und
hielt sie fest, und erst in diesem Moment begriff Mike wirklich,
was Malcolm gemeint hatte, als er sagte, André könne ja schon
einmal zu seinen Freunden gehen.
    André war von allen Besatzungsmitgliedern der NAUTILUS –
sah man einmal von Singh ab, der ohnehin nur sprach, wenn es
unumgänglich war
– vielleicht das schweigsamste. Mike hatte
sich darüber niemals Gedanken gemacht, sondern es als ganz
selbstverständlich hingenommen, aber nun fragte er sich, ob
André eigentlich wirklich glücklich gewesen war während all
der Monate, die sie sich an Bord der NAUTILUS befanden. Jetzt
war er es, das hätte selbst ein Blinder gesehen. Und Sarah auch.
Die beiden mußten sich

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