Herren des Wetens
Licht des Auges. Irgendwie macht es das Verborgene sichtbar.«
»Erstaunlich«, murmelte der Alte. »Ich frage mich…« Er trat rasch an das Schränkchen an der Wand und kramte darin herum, dann kam er mit einer Schriftrolle an den Tisch zurück. Rasch öffnete er sie. »Halt das Auge näher, Junge«, bat er.
Garion streckte den Stein aus und sah mit seinem Großvater, wie sich die verborgenen Wörter langsam an die Oberfläche hoben, genau wie in dem Tempelgewölbe.
»Erstaunlich«, murmelte Belgarath erneut. »Es ist etwas
verschwommen, und manche Wörter sind nicht ganz deutlich, aber es ist alles da! Wie ist es möglich, daß es noch keinem zuvor aufgefallen ist – und wie bist du darauf gestoßen?«
»Ich hatte Hilfe, Großvater. Die Stimme riet mir, es im richtigen Licht zu lesen.« Er zögerte, denn er wußte, welches Leid seine nächsten Worte in dem alten Mann wecken würden. »Und dann besuchte uns Poledra.«
»Poledra?« Belgaraths Stimme stockte beim Namen seiner Frau.
»Jemand zwang Ce'Nedra, etwas im Schlaf zu tun – etwas sehr Bedrohliches –, da kam Poledra und hielt sie davon ab. Danach sagte sie mir, ich müsse zu dem Tempel in Drasnien reisen, um das Original des Mrin-Kodex zu lesen, und sie wies mich ausdrücklich an, das Auge Aldurs mitzunehmen. Als ich dort war und zu lesen anfing, wäre ich fast gleich wieder gegangen. Das Ganze erschien mir so dumm. Schließlich erinnerte ich mich, was die Stimme und Poledra gesagt hatten, und fügte es zusammen. Kaum begann ich im Licht des Auges zu lesen, verschwand das Gefühl, daß ich nur meine Zeit vergeudete. Großvater, wie kommt das? Was steckt dahinter? Ich dachte, es beeinflusse nur mich, doch dir erging es nicht besser.«
Belgarath überlegte einen Augenblick stirnrunzelnd. »Es war eine Interdiktion«, erklärte er schließlich. »Irgendwann befaßte sich jemand mit dieser Stelle und machte sie mit seiner Willenskraft so abstoßend, daß niemand sie auch nur ansehen konnte.«
»Aber sie ist da – selbst auf deiner Kopie. Wie ist es da möglich, daß der Schreiber sie im Gegensatz zu uns gut genug zu sehen vermochte, daß er imstande war, sie abzuschreiben?«
»Viele Schreiber früherer Zeit konnten nicht lesen«, erklärte Belgarath. »Um etwas zu kopieren, ist das auch nicht unbedingt nötig.
Diese Schreiber malten die einzelnen Zeichen nur ganz genau nach.«
»Aber diese… wie hast du es genannt?«
»Interdiktion. Es ist ein geschwollenes Wort für Untersagung. Ich glaube, Beldin hat es sich ausgedacht. Er ist manchmal entsetzlich stolz auf seine Klugheit.«
»Diese Interdiktion veranlaßte demnach, daß die Schreiber all diese Worte übereinandermalten – obgleich sie nicht wußten, was sie bedeuteten?«
Belgarath bestätigte es abwesend. »Wer immer dahintersteckt, ist sehr mächtig – und sehr geschickt. Ich ahnte nicht einmal, daß jemand mit meinen Gedanken herumspielte.«
»Wann, glaubst du, kam es zu dieser Interdiktion?«
»Wahrscheinlich sofort, als der Mrin-Prophet die Worte sprach.«
»Würde ihre Wirkung auch noch nach dem Tod der Person anhalten, die sie verursachte?«
»Nein.«
»Dann…«
»Richtig. Es muß sie noch geben.«
»Könnte es Zandramas sein, diese Person, von der wir in letzter Zeit immer wieder hören?«
»Das wäre natürlich möglich.« Belgarath griff nach dem Pergament. »Ich kann es jetzt auch im normalen Licht lesen. Wenn die Interdiktion gebrochen ist, bleibt sie es offenbar auch.« Er legte das Blatt zurück. »Das ist wirklich wichtig, Garion.«
»Ganz meine Meinung«, antwortete Garion. »Ich verstehe jedoch nicht alles. Der erste Teil ist einfach – der über das Auge, das sich rot färbt und den Namen des Kindes der Finsternis kundtut. Jedenfalls sieht es ganz so aus, als müßte ich wieder eine dieser Reisen machen.«
»Eine lange, wenn das hier stimmt.«
»Was bedeutet der nächste Teil?«
»Nun, soweit ich es beurteilen kann, hat deine Suche – was immer sie ist – bereits begonnen, und zwar bei der Geburt Gerans.« Der alte Mann runzelte die Stirn. »Mir gefällt dieser Teil über den blinden Zufall nicht. So etwas macht mich nervös.«
»Wer ist der Geliebte und Ewige?«
»Ich, wahrscheinlich.«
Garion blinzelte.
Belgarath zuckte die Schultern. »Es klingt vielleicht etwas hoch-trabend«, gab er zu, »aber manche nennen mich den ›Ewigen‹ – und als mein Herr und Meister meinen Namen änderte, fügte er die Silbe
›Bel‹ an meinen vorherigen. In der
Weitere Kostenlose Bücher