Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Herrengedeck

Herrengedeck

Titel: Herrengedeck
Autoren: Philip Tamm
Vom Netzwerk:
ankomme, stehen vor der Haustür rund hundert Interessenten. Es sind nur noch so wenige, weil die übrigen zweihundert schon frustriert abgehauen sind. Ich habe mir heute fest vorgenommen, berufliche und private Interessen auf angenehme Art zu verquicken. Darum spiele ich erst einmal eine Art Türsteher und sortiere alle Anwesenden aus, die eines der folgenden Kriterien erfüllen:
    - männlich (damit ist die Hälfte schon mal weg)
    - über 35 Jahre
    - Kurzhaarschnitt
    - Sandaletten, bei denen der große Zeh hervorsteht
    - zu viel Make-up
    - zu wenig Make-up
    - Brille
    - Handy mit baumelndem Teddybär dran

    Am Ende bleiben noch genau drei Frauen übrig, und bei allen dreien habe ich ein verdammt gutes Gefühl. Nicht wegen der Wohnung. Sondern wegen uns . Sie sind Kandidatinnen für den sogenannten Katja-Plan.
    Gemeinsam steigen wir die Treppe zu der Wohnung hoch und ich zeige den Frauen die Räume. Gebe mir große Mühe, die Nachteile der Wohnung abzuschwächen und die Vorteile hervorzuheben: sofort beziehbar; Renovierung nach eigenen Wünschen, da von eigenem Geld zu bezahlen; Blick auf idyllischen Hinterhof, vorausgesetzt man mag Abluftschächte und Müllcontainer. Ja, für so etwas bin ich halt geschult worden.
    Die eine Bewerberin (Typ Verona Pooth, aber mit angenehmer Stimme) gibt mir schon nach drei Minuten mit einem leicht angewiderten Gesichtsausdruck zu verstehen, dass sie doch kein Interesse an der Wohnung hat, weil sie dann genauso gut in eine Tiefgarage oder einen Altglascontainer ziehen könnte. Schade, denn sie war meine Favoritin.
    Bleiben aber immer noch die beiden anderen Interessentinnen, die mir auch beide gut gefallen. Die eine ist eine große Blonde (Typ Veronica Ferres, aber mit Ausstrahlung), die andere eine kleine Dunkelhäutige (Typ Coleen Fernandez, aber mit Gehirn). Vielleicht könnte ich den beiden vorschlagen, eine WG zu gründen und zusammen einzuziehen - und mir dann auch zusammen die kleine Gefälligkeit eines Dates zu erweisen?
    Die Frauen gucken noch ein wenig in den Räumen herum und stellen ein paar Fragen: Werden die Kohleöfen durch eine Heizung ersetzt? Kann man bei der Kettenspülung der
Toilette etwas machen? Werden die Wände auf Kosten des Vermieters verputzt?
    Ich setze mich auf den einzigen Stuhl, der noch in der Wohnung steht, und sage möglichst freundlich: »Ich werde mich selbstverständlich für Sie einsetzen. Das herausgebrochene Schloss in der Wohnungstür wird ersetzt. Und es werden Stromleitungen verlegt. Vielleicht. Das kann ich versprechen.«
    Für ein paar Sekunden herrscht ein angespanntes Schweigen im Raum. Dann sagen die beiden Frauen gleichzeitig: »Also, ich würde sie nehmen.«
    »Ich würde Sie auch nehmen«, erwidere ich.
    Die beiden lächeln unsicher. Bei der Blonden fällt zuerst der Groschen und sie kapiert, dass mein Sie mit großem S gemeint war. Sie legt den Kopf schief und sagt: »Wenn ich die Wohnung kriege, könnten wir uns heute Abend ja zum Abendessen treffen und die Einzelheiten besprechen. Was meinen Sie?«
    »Gute Idee. Und vielleicht gibt es dann noch Nachtisch? Bei mir?«
    »Vielleicht«, antwortet sie, aber ihr Lächeln heißt eindeutig Ja und Du wirst dich nicht beschweren müssen .
    Die kleine Dunkelhäutige hat unserem Gespräch gelauscht und ihr eigentlich hübsches Gesicht wurde dabei immer verkniffener. Jetzt räuspert sie sich und will etwas sagen. Ich hoffe, ihr ist klar, dass sie das Gebot der Blonden entscheidend toppen muss. »Hören Sie«, sagt sie mit weinerlicher Stimme. »Ich habe einen kleinen Sohn. Und ich brauche die Wohnung. Ich habe mir in den vergangenen Wochen schon über fünfzig Angebote angesehen. Aber nie bin ich zum Zuge
gekommen. Nie! Weil ich Ausländerin bin. Weil ich alleinstehend bin. Und weil ich ein Kind habe. Sie müssen mir helfen. Ich stehe in wenigen Tagen auf der Straße.«
    Noch während ich über ihre Worte nachdenke, sprüht die Blonde ihre Nebenbuhlerin mit giftigen Blicken ein und sagt: »Hör zu, Schätzchen. Das hier ist nicht die Caritas und unser Vermieter ist nicht der Papst. Also lass diese Tränendrüsentour. Außerdem lügst du doch sowieso. Schlampe.«
    Die Blonde sieht mich beifallheischend an wie ein Boxer, der in der Rundenpause triumphierend in die Ecke seines Trainers zurückkehrt, nachdem er den Gegner gerade mit einem verbotenen Tiefschlag in die Knie gezwungen hat.
    Der Dunkelhäutigen treten die Tränen in die Augen. Sie zittert und sagt mit schwacher Stimme: »Ich lüge
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher