Herrentier
dem Stuhl auf dem Boden ab. »Finanzplanung 2000 bis 2008« stand auf dem obersten Aktendeckel.
»Die Polizei würde es wohl Einbruch nennen.« Jeanette ließ sich auf den Sessel hinter dem Schreibtisch fallen. »Meine Chefin würde es als den größten Vertrauensbruch bezeichnen, der ihr je widerfahren ist.«
»Sie weiß nicht, dass du hier bist?«
»Natürlich nicht. Sie hat mir zwar selbst alle Büroschlüssel gegeben, aber nur für alle Fälle und nicht, damit ich hinter ihrem Rücken ihre Unterlagen durcharbeite.«
»Das heißt, wenn das herauskommt, kannst du dir einen neuen Job suchen? Dann muss es etwas Wichtiges sein, das du gefunden hast.«
»Dein Verstand arbeitet messerscharf.« Sie blickte Gregor spöttisch an. »Als wir uns heute morgen zum Laufen trafen, wusste ich, dass wir erpresst werden. Aber ich wusste nicht, warum. Ich hatte auf irgendwelche fanatischen Tierschützer getippt.«
»Oder illegaler Tierhandel?« In Gregor keimte die Hoffnung auf, seine abwegigen journalistischen Notlügen, die ihn das Abendessen und die gute Laune seiner Frau gekostet hatten, enthielten doch ein Körnchen Wahrheit.
Jeanette schüttelte den Kopf. »Alles falsch. Es geht höchstwahrscheinlich um die nicht ganz korrekte Verwendung von Spendengeldern.«
»Ihr solltet also zum Beispiel keine Affen, sondern Antilopen kaufen, und dafür musste die arme Emma sterben?«
»Das mit dem messerscharfen Verstand nehme ich zurück. Es geht um die Baufinanzierung für das Darwineum .«
Evelyn Hammer war am Vormittag sehr kampflustig gewesen. Als Jeanette sie an die Pressekonferenz vom Vortag erinnert hatte und daran, dass Sicherheitschef Schwarck mit oder ohne Absicht den Verdacht auch auf Zoomitarbeiter gelenkt hatte, war sie aufgesprungen und mit dem Satz »Den kauf ich mir!« aus dem Büro gestampft. Jeanette kannte das schon und war nicht beeindruckt. Immer, wenn ihre Chefin wütend war oder etwas, das sie wollte, nicht durchsetzen konnte, machte sie einen ausgiebigen Spaziergang durch den Zoo. Besonders lange hielt sie sich dann für gewöhnlich bei den Reptilien auf, dort, wo sie vor knapp dreißig Jahren als Pflegerin angefangen hatte.
Jeanette war allein zurückgeblieben, hatte sich auf Evelyns noch warmen Schreibtischsessel gesetzt und begonnen, eine Schublade nach der anderen aufzuziehen. Sie suchte den Erpresserbrief, den sie für Gregor kopieren wollte. Sie fand ihn in einer der unteren Schubladen. Der Brief, den sie Gregor nun hinhielt, trug neben den aufgeklebten Buchstaben ein paar Worte in krakelig-ungelenker Handschrift. Der Brief war sehr kurz gehalten. Das Foto zeigte eine schlafende Frau in ihrem Bett, die unschwer als Evelyn Hammer zu erkennen war. Darunter stand handschriftlich: »Spende mir bar 220 000. Zwei Tage Zeit. Details später.« Dabei war das erste Wort dick unterstrichen.
Gregor brach der Schweiß aus. Er öffnete seine Jacke und ließ sie hinter sich über die Lehne fallen. Dann blickte er noch einmal auf den Brief.
Jeanette sagte: »Die Unterstreichung und die krumme Summe kamen mir gleich komisch vor, weil wir ja sehr viel mit Spendengeldern zu tun haben. Daraufhin bin ich heute Abend noch einmal hergekommen und hab mir unsere Finanzbuchhaltung mit den Spendenauszügen vorgenommen.«
»Hast du etwas gefunden?«
»Das glaube ich zumindest. Sieh mal hier.« Jeanette nahm einen Ordner und schlug ihn auf. Gregor ging zu ihr hinter den Schreibtisch und kniete sich auf den Boden, weil keine Sitzgelegenheit mehr da war. Jeanette deutete auf die abgehefteten Kontoauszüge.
»Ziemlich großzügige Überweisungen«, sagte Gregor. »Wär schön, wenn es auf meinem Konto auch mal so aussehen würde. Wo kommt das denn her?«
»Von Fondsgesellschaften.« Jeanette deutete auf die Kürzel der Absender. »Das sind Kapitalerträge. Wertpapiergeschäfte. Und die sind offenbar ziemlich gut gelaufen.«
»Na wunderbar. Aber so etwas ist doch nicht verboten, oder?«
»Wenn man dafür ungefragt Spendengelder verwendet, schon.« Sie beugte sich zu ihm und hauchte: »Spende mir.«
Gregor spürte ihren Atem, frisch wie ein sommerliches Lüftchen. Er roch ihr Parfum. Es erinnerte ihn an eine warme Blumenwiese. Er blickte in ihre hellen, graublauen Augen. Ihm brach wieder der Schweiß aus.
Schnell warf er seinen Kopf zur Seite und räusperte sich. »Da hat also jemand Spendengelder unerlaubt vermehrt. Um noch mehr Gutes zu tun, oder wozu?«
»Das habe ich auch noch nicht herausbekommen«, sagte
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