Herrentier
gearbeitet. Deshalb kannte er die hiesigen Eitelkeiten und konnte sich gut ausmalen, welch ein Ringen es gewesen sein musste, allein diese Schautafel zu erstellen. Es bedurfte sicher zahlloser Sitzungen von mehreren Dutzend Akademikern, um all diese Einrichtungen und Mitarbeiter in eine durchdachte Reihenfolge zu bringen, die zudem noch mit der geltenden Universitätsordnung in Einklang stehen musste. Wer es hier nach ganz links oben schaffte, musste ein Alphatier sein. Ohne es zu prüfen war Gregor überzeugt, dass das Kennzeichen des Professors aus den Anfangsbuchstaben seines Doppelnamens und der Ziffer 1 bestand, JH 1, vielleicht auch nur K 1. Ehe Gregor noch weitere Kombinationen durchgehen konnte, hatte er die 213 gefunden, die erwartungsgemäß den Hinweis enthielt, man möge sich bitte in 214 melden. Er klopfte. Da er keine Reaktion von innen vernahm, öffnete er die Tür. Die Sekretärin, die konzentriert auf ihren Monitor äugte, indem sie ihre Gleitsichtbrille in einen ganz bestimmten Winkel balancierte, würdigte ihn keines Blickes. Auch sein »Guten Tag« änderte daran nichts. Er ließ sich kurz von einer überdimensionierten Pinnwand ablenken, die mit Urlaubsgrüßen übersät war. »Gregor Simon. Professor Kramer erwartet mich. Ich hatte vorhin mit ihm telefoniert.«
Nun huschte eine Art Lächeln über das tumbe Gesicht der Frau, die die letzten drei Jahrzehnte wahrscheinlich damit verbracht hatte, schwer beschäftigt auszusehen. Sie setzte sich in Bewegung, öffnete hörbar atmend die Tür zur 213 und winkte Gregor nach kurzer Konversation mit ihrem Vorgesetzten durch. Der Inhaber des Lehrstuhls für General Management and Marketing saß an seinem Schreibtisch und war in Unterlagen vertieft.
»Ja, Herr Gregor, richtig? Nehmen sie doch schon mal Platz. Ich bin gleich für Sie da. Ich muss nur eben noch einen Gedanken …«
Dann verstummte er und wurde eins mit seinem edlen Federhalter, um letzte wegweisende Bemerkungen zu Papier zu bringen. Zufrieden richtete er sich auf, überflog noch einmal ein paar Sätze und rief dann unerwartet laut seine Sekretärin. Gregor beobachtete, wie sie plötzlich einem Hunde gleich im Türrahmen zur 214 stand, um die Befehle ihres Herren entgegenzunehmen.
»Frau Striesenow, tippen Sie mir das doch bitte noch einmal ab. Das ist für die Beschlussvorlage für das Konzil. Es wäre schön, wenn ich das nachher gleich mitnehmen könnte. Und ich würde es gern noch einmal gegenlesen.«
Frau Striesenow verschwand mit den Unterlagen, um einen Augenblick später zurückzukehren.
»Soll ich Professor Liebers vom Institut dann gleich eine Kopie schicken?«
»Das ist eine sehr gute Idee«, lobte er.
Endlich kam er zu Gregor an den Besprechungstisch.
»Ach ja, und bitte richten Sie dem Kollegen Liebers auch aus, dass sich die Reihenfolge der Reden im Kolloquium für Professor Labrecht nochmals geändert hat.«
Er schenkte Gregor nun ein charmantes Lächeln.
»Soo. Herr Gregor von der RAZ , richtig? Was kann ich für Sie tun?«
»Simon.«
»Wie bitte?«
»Gregor ist der Vorname, Simon der Nachname. Wie ich bereits am Telefon erwähnte, interessiere ich mich aufgrund der jüngsten Vorfälle für den Bau des Darwineums . Mir geht es darum zu erfahren, wie das ganze Objekt finanziert wurde, wer die Entscheidenden waren, wer die Gegner. Sie hatten ja damals vermittelt?«
»Richtig, richtig. Ja, schrecklich, was im Zoo passiert ist.« Professor Kramer reckte seinen Hals, so als würde die Krawatte zu eng sitzen. Er ließ sich Zeit, bevor er antwortete.
»Ich erinnere mich. Wir hatten ein Konzept für den Zoo erstellt. Darin ging es um Auslastungen, Vermarktung etc. pp. Das war noch im alten Gebäude, in der Parkstraße. Ich weiß nicht, wie gut Sie sich hier auskennen?«
»Sehr gut. Sie meinen das Grüne Ungeheuer.«
»Ja, so wurde es genannt. So hieß übrigens auch ein Politthriller aus den fünfziger Jahren. Wolfgang Schreyer, einer der erfolgreichsten DDR-Autoren. Hat mehr als fünf Millionen Bücher verkauft. Ich habe es nicht gelesen, nur mal nach der Bezeichnung gegoogelt. Wussten Sie eigentlich, dass in diesem Haus ursprünglich das Großherzoglich-Mecklenburgische Füsilierregiment stationiert war?«
»Offen gestanden nein. Ich bin zwar hier in der unmittelbaren Umgebung aufgewachsen, kannte das Gebäude aber nur als Russenkaserne. Füsilierregiment? Nein.«
»Richtig. Richtig. Der Ausdruck leitet sich aus dem Französischen ab. Fusil, die Muskete.«
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