Herrentier
können.
»Schon etwas zu trinken?«, fragte die junge Bedienung in knappem Kellnerdeutsch. Der Lärm des gut gefüllten Borwin brandete in Evelyns Bewusstsein. Wer immer in Rostock ein wirtschaftlich halbwegs wichtiges Gespräch zu führen hatte, traf sich in diesem Lokal. Hier im Stadthafen ließ es sich plaudern, ganz intim von Entscheider zu Entscheider, den Sonnenuntergang über der Warnow im Blick. Evelyn entschied sich für ein Pils. Gertrud Landgräfe überlegte, welchen der grellbunten alkoholfreien Cocktails sie wählen sollte. Evelyn war hier kein häufiger Gast. Nicht wegen des Essens, im Gegenteil, in Sachen Fisch gab es stadtweit kaum ein besseres Lokal. Aber sie hasste es ganz allgemein, sich ausgerechnet zu einer intimen Angelegenheit wie einem Essen mit Menschen umgeben zu müssen, zu denen sie sich in keiner Weise hingezogen fühlte, mit denen sie eigentlich nichts zu tun haben wollte.
Professor Kramer saß links von Evelyn und ließ sich von der jungen Kellnerin etwas in der Speisekarte erklären. Dafür musste sie sich zu ihm herunterbeugen, was ihr Dekolleté in Kramers Augenhöhe brachte. Der stierte ungeniert hinein. Armes Mädchen, dachte Evelyn. Wen mag sie sich vorgestellt haben, als sie am Morgen das knappe Top anzog? Einen jungen Mann, der auf sie aufmerksam wird, während sie ihn in gediegener Atmosphäre zusammen mit lauter anderen Bilderbuchtypen namens Marc, Paul oder Tim bediente. Und was bekam sie? Eine demolierte Zoochefin, eine Bauamtsleiterin, die aussah, als würde sie Solofasching feiern, und einen in die Jahre gekommenen Wirtschaftsprofessor, der ihr in den Ausschnitt glotzte, als wären ihre Brüste nur für ihn gewachsen. Die Kellnerin bemerkte den Blick und richtete sich errötend wieder auf.
Kramer klappte seine Karte zusammen, bestellte ein Schwarzbier und sah zu Evelyn. »Frau Hammer scheint mir heute etwas wortkarg und sehr in Gedanken zu sein«, meinte er aufgeräumt. »Wie wäre es mit einem Prosecco? Das kurbelt bei den meisten Frauen die Lebensgeister an.«
»Dann gehöre ich wohl nicht dazu«, sagte Evelyn und bestellte ihr Bier. »Ich habe mich nur gerade gefragt, warum Männer die Zeichen der Frauen eigentlich grundsätzlich missverstehen.«
»Aber wenn eine Frau will, dass sie missverstanden wird«, sagte Kramer, »dann versteht man als Missverstehender ja durchaus richtig, oder, Fräulein Albrecht?«
»Das ist mir jetzt gerade zu hoch«, kicherte Jeanette. »Also ich nehme auf jeden Fall einen Prosecco.« Die Kellnerin lief mit den Bestellungen in Richtung Tresen.
Evelyn sah zu Jeanette, die zweifellos der optische Höhepunkt dieser Tischgesellschaft war. Sie überlegte sich morgens bestimmt nicht, wen sie mit ihrer Kleidung beeindrucken konnte. Es war bei ihr vermutlich schon ein Automatismus, der sie immer perfekte Körperbetonung erreichen ließ. Selbst wenn sie eine vergleichsweise hoch geschlossene Bluse wie heute trug, konnte man immer noch, durch die kleinen Öffnungen zwischen den Knöpfen des im Brustbereich etwas spannenden Stoffs, das zarte Gewebe ihres sanft gewölbten Büstenhalters erkennen.
»Also ich finde, wenn man sich deutlich ausdrückt, dann kommt es auch nicht zu Missverständnissen«, sagte Gertrud Landgräfe.
»Ganz richtig, Gertrud«, freute sich Kramer. »Vor allem, wenn man nichts zu sagen hat.«
Die Bauamtsleiterin war offenbar nicht sicher, ob Kramer sie auf den Arm nahm und lachte verlegen. Evelyn fragte sich einmal mehr, wie eine derart uncharismatische, farblose Person in eine so bedeutende Position gelangen konnte. Wobei farblos sich nicht auf Landgräfes Äußeres bezog. Evelyn mahnte sich zur Ruhe und Konzentration. Es stand viel auf dem Spiel, sie wollte den heutigen Abend nicht ergebnislos verstreichen lassen. Zunächst einmal würde sie dafür sorgen, dass Kramer mit seinem Holzhacker-Humor ihr nicht permanent in die Parade fuhr. Zeit, dass sie die Führung übernahm.
»Ich freue mich, dass wir hier einmal in etwas lockerer und informeller Runde zusammengekommen sind und ganz entspannt über ein paar Zukunftspläne reden können. Als ich im Krankenhaus lag, wurde mir wieder einmal bewusst, dass man den Spaß im Leben nicht vernachlässigen darf; es könnte irgendwann zu spät sein. Und warum nicht mal das Dienstliche mit dem Angenehmen verbinden, nicht wahr Frau Landgräfe?«
»Wenn man das Schöne nicht hat, wird es erst mal so richtig schön.« Gertrud Landgräfe nickte wissend.
»Und was schön ist, das
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