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Herrentier

Herrentier

Titel: Herrentier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Joseph
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Flasche auf dem unebenen Boden schwankte und dann umkippte. Der Wein schwappte heraus, eine kleine Welle, noch eine. Auf keinen Fall sieht Rotwein wie Blut aus, dachte Gregor. Auch wenn das in jedem zweiten Krimi so dargestellt wird. Dann begriff er. Er rannte los und hatte Madeleine nach einem kurzen Sprint eingeholt. An der Kreuzung Warnowufer mussten sie warten, und Gregor verfluchte wieder einmal die Verkehrsplanung, die Autofahrern freie Bahn bescherte, während die Fußgänger kleine Ewigkeiten am Straßenrand verbringen mussten. Sie hasteten schließlich bei Rot über den Asphalt, rannten den Kanonsberg hoch, an der Anatomie vorbei Richtung Doberaner Platz. Madeleine hielt sich die Seite und wurde langsamer. »Lauf weiter«, rief sie ihm keuchend nach. »Ich komme.«
    Gregor rannte. Am Brink vorbei, wo ihm die Gäste des  Café Central  unter ihren Heizpilzen belustigt hinterhersahen. Das Gleiche noch einmal am  Warmbad  und am  Stadtkind . Gregor hatte keine Augen für die Kneipen, und ihm war auch egal, ob Bekannte unter den Trinkenden waren. Er bog in die Niklotstraße ab, konnte fast das Schloss der Haustür nicht treffen und polterte die Treppen nach oben. Als er oben die Wohnungstür öffnete, hörte er, wie unten Madeleine die Haustür aufstieß, sodass sie gegen die Wand krachte. Gregor stockte der Atem. Die Kinderzimmertür stand halb offen. Er trat ins Zimmer. Die beiden Bettchen waren leer.

Heuler

    Das Zimmer war fast leer. Lederne Polstermöbel standen als bequeme Sitzecken im Raum, was dem Charme einer Hotellounge ähnelte. Auf einem niedrigen, eleganten Tischchen lagen Zeitschriften. Auch hinterm Empfangstresen keine Menschenseele. Evelyn ließ sich in einen der Sessel fallen. Gestern die Allgemeinmedizinerin, heute die Psychologin. Die Arzttermine fraßen Zeit und Energie. Trotzdem hatte sie eingewilligt, jede erdenkliche medizinische Behandlung auf sich zu nehmen. Jahrelang war sie keinen Tag krank gewesen. Sie hatte einiges nachzuholen.
    Auf dem Bildschirm an der Wand zeigte irgendein Dauersportsender das Match zweier afrikanischer Mannschaften in irgendeiner World League. Evelyn interessierte sich nicht für Fußball. Sie konnte nicht einmal die einheimischen Teams auseinanderhalten und sie verstand auch nicht die eigenartigen Rechnereien, nach denen eine Elf nahezu jedes Spiel verlieren konnte, um am Ende doch noch gerade so im Mittelfeld der Tabelle zu landen. Selbst  Hansa Rostock  kannte sie nur, weil immer mal die Zoobesucher durch gesperrte Straßen rund ums Stadion bedrängt wurden oder gleich ganz ausblieben, wenn am Tag vor dem Anpfiff ausgiebig die möglichen Folgen von Risikospielen ausgeschlachtet wurden. Das musste sie diesem Simon einmal sagen. Ihrer Meinung nach trug nämlich die Panikmache vor den Spielen nicht unerheblich zum Entstehen der berüchtigten dritten Halbzeit bei.
    Eine Tür klappte.
    Evelyn drehte sich um. Katharina Schall-Löckner kam auf sie zu. Sie strich sich den Rock glatt und hatte einen rosarötlichen Abdruck auf der Wange.
    »Willkommen,  Robbe «, sagte sie und reichte Evelyn die Hand.
    »Wie bitte?« Evelyn blickte irritiert. Katharina wurde rot und zog die Hand wieder zurück.
    »Unser Club-Gruß«, stammelte sie. »Ich meinte nicht dich körperlich.«
    Evelyn erinnerte sich an das Ritual des  RoBB , sich gegenseitig als  Robben  anzureden. Sie war erst Anfang des Jahres Mitglied geworden, hatte aber in den vergangenen Wochen etliche Treffen ausfallen lassen.
    »Hatte ich ganz vergessen«, sagte Evelyn versöhnlich und streckte Katharina ihre Hand entgegen. »Aber dann bin ich wohl eher ein Heuler.«
    Katharina wurde ernst. »Daran ist überhaupt nichts auszusetzen, du hast unwahrscheinlich viel durchgemacht. Es ist sogar gut für dich, wenn du dich deinen Gefühlen stellst. Das wird leider viel zu oft vergessen.«
    Evelyn ließ die Hand wieder sinken. »Es ist so leer hier«, sagte sie und sah sich um. »Überall sind die Terminkalender voll, und hier bei dir ist ein einziger Patient.«
    » Du  bist hier. Ich lasse mir mit Absicht immer ein wenig Puffer vor und nach der Sitzung, falls es mal länger dauert. Komm mit.«
    Sie gingen am ausgestorbenen Empfangstresen vorbei durch einen kleinen Gang in einen ungefähr vierzig Quadratmeter großen Raum, der ebenfalls durch karge Möblierung bestach: Ein Schreibtisch, eine Liege mit leicht zerwühlter Decke, hinten an der Wand ein fast leeres Bücherregal.
    »Aufgeräumt«, sagte

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