Herrentier
verschränkten Armen und geneigten Häuptern gegenüber saßen. Bei flüchtiger Betrachtung hätten es Zwillinge sein können, doch das täuschte. Die Nadel sank, ein Knistern ertönte und nach einem kurzen Gitarrenintro schwoll Brian Molkos ätherische Stimme an, tauchte den Raum in ein anderes Jahrzehnt.
Strange infatuation seems to grace the evening tide.
I’ll take it by your side.
Madeleine und er hatten Tränen in den Augen, als sie das erste Mal Placebos Without you I’m nothing bei einem Konzert hörten und deren Sänger vor den schwitzenden, ausgestreckten Armen hunderter Fans tausend Tode litt. Gregor lief ein Schauer über den Rücken.
Such imagination seems to help the feeling slide.
I’ll take it by your side.
Sein Hals schwoll an, als er Charlie, Utas Kuschelschimpansen, auf dem Sessel sah.
Instant correlation sucks and breeds a pack of lies.
I’ll take it by your side.
Sie hatten Charlie tatsächlich nicht mitgenommen? Es hatte Urlaube gegeben, in denen sie nach einer halben Stunde Autofahrt umgekehrt waren, um ihrer völlig aufgelösten Tochter den vergessenen Plüschaffen zu holen.
Oversaturation curls the skin and tans the hide.
I’ll take it by your side.
tick – tock
tick – tick – tick – tick – tick – tock
Er drehte die Musik soweit auf, wie er das schon seit Jahren nicht mehr getan hatte, etwa seit dem Geburtstag ihrer ersten Tochter. Gregor schloss die Augen und sang aus voller Kehle, ohne dabei die eigene Stimme zu hören:
I’m unclean, a libertine
And every time you vent your spleen,
I seem to lose the power of speech,
Your slipping slowly from my reach.
You grow me like an evergreen,
You never see the lonely me at all
Als er wieder aufblickte, entdeckte er, dass sein Handy leuchtete. Axel Grieshaber, der Polizeipressesprecher. Erschrocken fuhr er herum zum Plattenspieler, wobei der Tonarm mit einem markerschütternden Geknarze verrutschte. Ein anderer Song, Pure Morning , ertönte. Gregor ergriff den Lautstärkeregler.
»Simon.«
»Na, hab ich dich beim Nickerchen gestört?« Grieshaber klang gut gelaunt.
Gregor strich sich verlegen über den Oberschenkel. »Natürlich, mach ich immer um diese Zeit. Das müsstest du eigentlich wissen.«
»Du hattest mich angerufen? Ich hatte einen Anruf in Abwesenheit.«
»Ja, richtig. Du, ich war heute bei Senator Wittekindt.«
»Du meinst bei Pornelius?«
»Por-ne-lius?«, wiederholte Gregor ungläubig.
»Ja, deine Kollegen haben ihn mittlerweile so getauft. Originell nicht? Pornelius Wittekindt.«
»Oh, nein, bitte. Sag bloß, du weißt schon von der Story.« Ein schmerzvolles Lachen entfuhr Gregor.
»Aber ja, so etwas spricht sich herum. Unser Senator schafft es bestimmt in die Tagesschau . Wenn in Rostock etwas schiefläuft, dann ist uns bundesweite Aufmerksamkeit doch immer sicher. Aber weshalb wolltest du mich sprechen?«
»Hör zu, irgendetwas stimmt mit Frau Landgräfe nicht. Es ist nur so ein Gefühl, aber sie blockiert mit allen Mitteln diesen Erweiterungsbau im Zoo.«
»Deine Gefühle in allen Ehren, aber die reichen nicht, um zu ermitteln.«
»Vor drei Tagen trafen sich Frau Dr. Hammer, Jeanette Albrecht, Professor Kramer und die Bauamtsleiterin, um den Fortgang zu besprechen. Frau Landgräfe stellte sich stur, offenbar obwohl bereits alle Gutachten, die beim Brand im Zoo vernichtet wurden, zu einem früheren Zeitpunkt im Amt vorgelegen haben. Gestern verkündet mir der Einzige, der jetzt die Sache ernsthaft ins Rollen bringen kann, er wolle den Bau zur Chefsache machen, und schwupps, tauchen aus dem Nichts hochnotpeinliche Kreditkartenabrechnungen auf, die alles stoppen werden, da sich kein Mensch mehr für irgendwelche Affen, sondern alle Welt für bausenatorische Affären interessiert.«
Am anderen Ende hörte Gregor ein zögerliches Brummen und legte nach. »Ich war heute beim Senator. Er sagt, dass an allem nichts dran wäre, und irgendwie glaube ich ihm. Und auf Landgräfe angesprochen gab er mir ohne offiziellen Kommentar zu verstehen, dass ich ins Schwarze getroffen hätte.«
»Na toll, und nun sollen wir eine Sonderkommission Gertrud einrichten, die deinen Gefühlen und Wittekindts Verteidigungsversuchen gerecht wird?«
»Mensch Axel, … ich weiß nicht, wie so etwas bei euch läuft. Irgendjemand untersucht doch sicher den Einbruch und die Aktenvernichtung im Zoo. Ich glaube ja auch nicht, dass die Landgräfe selbst da reinmarschiert ist, aber es kann doch nicht schaden,
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