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Herrentier

Herrentier

Titel: Herrentier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Joseph
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sich hin. »Der muss noch mal zurück«, sagte er schließlich.

    »Das ging doch jetzt schnell, oder?«, fragte der Forensiker gut gelaunt, als sie wieder im Auto saßen.
    »Schnell?«, antwortete Gregor. »Mein ganzes Leben ist an mir vorübergezogen. Machen Sie das öfter?«
    »Täglich. Einer aus unserem Institut kontrolliert die Leichen vor der Einäscherung. Und gar nicht so selten finden wir jemanden mit unklarer Todesursache. Der wird dann noch einmal untersucht. Was meinen Sie, in wie vielen Familien dem bettlägerigen Opa oder dem siechen Ehemann eine Dosis zu viel von der guten Medizin gegeben wird.«
    »Sie meinen Sterbehilfe?«
    »Ich meine Mord.«
    Als sie vor der Pathologie ankamen, stieg Gregor aus. Leitmeyer hatte noch einen anderen Termin, er hupte kurz und fuhr weiter. Gregor sah noch den Aufkleber auf dem Heck des Vans:  Tod fährt mit.
    »So viel zum Klischee«, rief er halblaut hinterher.

Aufwachen

    Die Glasscheibe hatte einen matten Gelbschimmer. Der Beamte dahinter legte gerade den Hörer auf. Für einen Moment tat er nichts, er hielt inne, wie um Luft zu holen vor einem Sprung vom 10-Meter-Brett. Dann zog er einen Stift aus einem schwarzen Lederetui und rückte das vor ihm liegende A4-Formblatt zurecht. Er tauchte ein in seine Arbeit. Seine Hand schrieb nicht, sondern bemalte mit ausholenden Schwüngen und Bögen den amtlichen Vordruck. Als er in der letzten Zeile angekommen war, musterte er das Schriftstück, wendete es mit ernster Miene, um sich nochmals dessen zu versichern, was er dank seiner langjährigen Erfahrung ohnehin schon wusste, dass die Rückseite recyclingweiß und leer war. Mit ruhiger Hand schob er das Dokument in den Schlitz eines Lochers, auf dessen Hebel bereits sein linker Unterarm wartete, um dem Blatt mit ganzer Entschlossenheit zwei Löcher in die Seite zu rammen. Das so gestanzte Papier wurde in einen bereitstehenden Ordner gelegt, dessen Bügel zuschnappten wie ein Vorhängeschloss. Nun war es eines von vielen, einsortiert, ausgerichtet und weggesperrt.
    Gregor hatte sich mit dem Fahrrad quer durch die Stadt gekämpft und war atemlos, ein paar Minuten zu spät, ins Polizeirevier gestürmt, in der Hand eine zerknitterte und mit Buntstift bemalte Vorladung, die er am Morgen eher zufällig auf seinem Schreibtisch entdeckt hatte. Doch Eile war hier völlig fehl am Platz. Gregor besah den Uniformierten hinter der Scheibe und mochte sich nicht vorstellen wie es wäre, unter Beobachtung zu arbeiten, ständig Augenpaare auf sich zu wissen, die neugierig starrten, bewerteten und antrieben. Er war froh, dass nicht er selbst, sondern seine journalistischen Beiträge der Öffentlichkeit ausgesetzt waren. Als seine ersten Artikel in der  Rostocker Allgemeinen Zeitung  erschienen, war er noch Volontär gewesen. Er war jeden Morgen aufgeregt, gespannt auf die Reaktionen der Leserschaft. Fast fühlte er sich ein wenig berühmt, wie sein Name da so stand zwischen den dicken Lettern und den Fotos. Doch mit jedem neuen Beitrag wuchs die Erkenntnis, dass er und auch seine Zeilen egal waren, wie die Zeitung vom Vortag. Es interessierte sich niemand für ihn. Einerseits war das deprimierend, andererseits ermunterte er sich damit, dass ihm die schnelle Vergänglichkeit auch eine gewisse Freiheit verlieh.
    Gregor stützte seine Ellenbogen auf den Tresen und hauchte gegen das Fenster, das ihn von dem Mann da drüben trennte, der ihn offenbar nicht bemerkte oder nicht bemerken wollte. Im Eingangsbereich stank es nach Linoleum und schon jahrelang erkaltetem Rauch. Gregor sah sich um. Wandtafeln, auf denen die Polizei  informierte  oder um  Ihre Mithilfe  bat. Aus irgendeinem Grund dachte Gregor an seine Führerscheinprüfung, vermutlich erinnerten ihn die Tafeln daran, die behördlichen Farb- und Bilderwelten, die hier wie damals schon versuchten locker aufzuklären und für gesetzeskonformes Verhalten zu werben. Der gläserne Polizist starrte inzwischen auf einen Monitor wie in eine Camera Obscura, weshalb Gregor sich zu einem Räuspern hinreißen ließ, auch wenn er nun fürchtete, angeranzt zu werden. Staatsorgane flößten ihm von jeher Angst ein, erst recht die uniformierten. Dabei war es gleichgültig, ob der Mittfünfziger vor ihm das kleinste Würstchen der Polizeiinspektion war. Er trug nicht nur eine imposante Lesebrille, sondern links und rechts davon auch Schulterklappen. Endlich schob er seinen Stuhl zurück, doch statt auf Gregor zuzugehen, verließ er den Raum in ein

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