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Herrentier

Herrentier

Titel: Herrentier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Joseph
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ihn los. Sie wollte ihn umrempeln, umrennen, das Überraschungsmoment nutzen, über den gestürzten Riesen hinweg ins Freie rennen.
    Hirngespinste. Der Schlag traf sie genau zwischen den Augen. Ihr Vorstoß endete, bevor er begonnen hatte. Evelyn sackte zusammen und fiel vor die Couch. Der Riese fluchte. Er drosch wieder zu. Und wieder. Im Rausch. Vier, fünf Schläge auf den Körper vor seinen Füßen. Die ganze Wut. Endlich hielt er inne, verharrte regungslos in schlagbereiter Haltung vor Evelyns geschundenem, gedemütigtem Leib. Es war still. Der Strick rutschte ihm aus der Hand. Ein Ende landete in einer Blutlache, die nach und nach die auf dem Boden verstreuten Papiertaschentücher umschloss.

Leben

    Gregor hatte einen Kloß im Hals. Er schloss sein Fahrrad an einem Geländer direkt vor der Pathologie an, stieg beklommen die Treppen des Eingangsportals hinauf und klingelte. Summend sprang die Tür auf und gab den Blick frei in einen finsteren Korridor. Ein Schild wies zu den Seziersälen. Es roch süßlich, stellte Gregor fest, aber noch bevor er einen Blick in einen der hohen Räume werfen konnte, kam ein Mann ihm ungestüm entgegen. Blondes, halblanges Haar, ein wehender Trenchcoat.
    »Professor Leitmeyer«, rief Gregor, erleichtert und gleichzeitig enttäuscht darüber, dass er nicht bis ins Herz der Finsternis hatte gehen müssen, um den Chef-Rechtsmediziner der Universität zu sprechen.
    »Herr Simon«, sagte Leitmeyer mit bayrischem Dialekt. »Leider ist mir ein Termin dazwischengekommen, aber nur ein kurzer. Wenn Sie wollen, nehme ich Sie mit und wir können im Auto reden.«
    Gregor willigte ein, wenn auch seine Beklommenheit wieder da war. Er eilte dem Mediziner hinterher auf den Parkplatz vor der Pathologie. Sie stiegen in einen knallroten Van. Der Professor parkte aus, fuhr über die Rembrandt- links in die Dethardingstraße.
    »Stört es Sie, wenn ich Musik anmache?«
    Gregor hatte den Schreibblock mit den vorbereiteten Fragen aus seiner Umhängetasche geholt. »Kommt darauf an. Nein, im Grunde nicht.«
    Leitmeyer ließ eine CD in den Schacht gleiten. Es ertönte eine Zither. Dann ein Akkordeon. Schließlich begann eine kehlige Frauenstimme eine Weise zu singen. In tiefstem Bayrisch. Gregor verstand kein Wort.
    »Was haben Sie denn erwartet?«, fragte Leitmeyer.
    Gregor merkte, dass er ungläubig den CD-Player anstarrte. Er fasste sich wieder.
    »Um ehrlich zu sein: skandinavischen Heavy Metal oder etwas Ähnliches.«
    »Immer diese Klischees über Rechtsmediziner. Warum werden wir immer als morbid und todessehnsüchtig dargestellt? Rechtsmedizin ist ein unglaublich facettenreiches Gebiet.«
    »Das weiß ich doch«, sagte Gregor. Er hatte einmal eine große Reportage über die rechtsmedizinischen Blutanalysen geschrieben. Die Top Ten spektakulärer Alkoholtests bei Verkehrssündern. Spitzenreiter war ein Mann mit 4,7 Promille gewesen. Sein Fahrstil war in Ordnung, aber als ihn die Polizei bat, Warnkreuz und Verbandskasten zu zeigen, fand er den Weg zum Kofferraum nicht.
    Gregor blickte nach hinten. Er sah noch drei weitere Sitze und dahinter jede Menge Platz.
    »Haben Sie eine große Familie? Ihr Wagen sieht nach ausgedehnten Urlaubstouren aus.«
    »Nicht für die Familie. Den Kofferraum brauche ich, wenn ich mal wieder einen meiner Klienten übers Wochenende mit nach Hause nehmen muss.« Leitmeyer bemerkte Gregors fassungslosen Blick und brach in schallendes Gelächter aus. »Ein Scherz!«, rief er und lachte weiter.
    »Ich wollte mit Ihnen über die Sache mit dem Zoo reden«, sagte Gregor, als sich der Rechtsmediziner wieder beruhigt hatte.
    »Richtig, das Äffchen.« Leitmeyer wischte eine Träne aus dem Augenwinkel. »Ihnen ist schon klar, dass ich Ihnen das eigentlich nicht sagen darf. Also nur so viel: Das Tier ist an schweren Kopfverletzungen gestorben. Stumpfe Gewalt. Erschlagen, nicht erwürgt.«
    »Das haben eigentlich alle erwartet. War das denn so unklar?«
    »Wie man’s nimmt. Das Tier hatte multiple Verletzungen. Mehrere davon hätten auf längere Sicht tödlich sein können. Aber gestorben ist Fräulein Affe an einer Fraktur des Stirnschädels mit anschließender massiver Einblutung in den Stirnlappen. Mal abgesehen davon, dass die Hirnsubstanz durch den Aufprall verletzt war.« Leitmeyer bog ab in die Parkstraße Richtung Barnstorfer Wald. Gregor erinnerte sich an das Rennen, das er sich hier mit Bernd geliefert hatte. Das war gerade erst zwei Tage her.
    »Ist eigentlich die Anatomie

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