Herrgottswinkel
funktioniert hatte.
Wären nur auch ihre anderen Pläne so einfach zu verwirklichen gewesen! Die einheimischen Männer machten schon lange einen großen Bogen um sie. Innerlich hatte sie sich damit abgefunden, nie mehr einen Mann zu finden, da eröffneten sich durch eine berufliche Veränderung plötzlich neue Möglichkeiten. Anna hatte in Immenstadt in der Krone angefangen, die Bettwäsche auszubessern und für die Chefin die Garderobe zu erneuern. Sie blieb manchmal eine ganze Woche von zu Hause weg, denn sie konnte umsonst in dem Hotel übernachten und sparte so Zeit und Geld für die vielen Zugfahrten. Ihren Engelbert wusste sie in Westerhofen gut von ihrer Familie versorgt. So konnte sie in Immenstadt auch noch abends arbeiten, bis sie vor Müdigkeit in ihr Bett fiel, und morgens bereits früh ihr Tagwerk beginnen. Sie arbeitete die Woche über fast rund um die Uhr, aber das Geld konnte sie gut gebrauchen.
Am ersten Mai sollte in Immenstadt am Viehmarktplatz der Maibaum aufgestellt werden, und unter den Angestellten des Hotels gab es schon seit Wochen kein anderes Gesprächsthema mehr.
»Anna, du hast in der letzten Zeit so viel gearbeitet, übermorgen fährst du erst am Abend nach Hause. Du machst dir hier zum ersten Mai einen schönen Nachmittag«, hatte ihre Chefin mitfühlend vorgeschlagen, denn das Maifest fiel auf einen Freitag. »Du kannst bis Mittag arbeiten, nachmittags etwas unternehmen und dann am Samstagabend nach Hause fahren. So kannst du die Feier mitmachen und bekommst trotzdem deinen vollen Lohn.«
Nach anfänglichem Zögern willigte Anna ein. Ihre Chefin hatte schon recht, was hatte sie denn vom Leben außer Arbeit? Wenn sie in Westerhofen war, wartete ja nur neue Arbeit auf sie, denn von ihrem Sohn hatte sie eigentlich nur sonntagnachmittags etwas, wenn sie zusammen spazieren gingen, und an den Abenden, wenn sie ihn zu Bett brachte. Trotzdem, ein bisschen ein schlechtes Gewissen hatte sie schon, länger und wegen einer Feier in Immenstadt zu bleiben. Noch immer fühlte sie sich schlecht, wenn sie einmal nur an sich dachte.
Doch dann war es endlich so weit und sie ging mit ihren neuen Freundinnen, zwei Zimmermädchen, auf den Viehmarktplatz. Dort waren viele Leute zusammengekommen, und einige junge Männer hatten bereits damit angefangen, den Maibaum, der zwar noch am Boden lag, aber schon zu großen Teilen geschmückt war, in die richtige Position zu bringen, als Anna mit ihren Freundinnen eintraf. Es waren lauter Zimmermannsleute, die ganz schwarz gekleidet waren und große Schlapphüte auf dem Kopf trugen. Auf der Stelle fiel ihr ein großer, breitschultriger und gut aussehender junger Mann auf, der den anderen Anweisungen erteilte, welche Handgriffe als Nächstes zu tun waren, um den Baum aufzurichten. Dann spielte die Blechmusik einen Tusch, die Festbesucher wichen ehrfürchtig zurück und brachten sich in sichere Distanz zu dem riesigen Stamm. Wieder gab der junge Mann Befehle. Seine Stimme war angenehm, aber die Worte, die er sprach, klangen seltsam fremd und unverständlich. Die anderen Männer nahmen ihre Plätze rechts und links vom Baum ein, um ihn mit langen Stangen zu stützen und langsam in eine senkrechte Position zu schieben. Zu ihrer Unterstützung wurde der Stamm von einem Pferdefuhrwerk in die Senkrechte gezogen, und der Mann, der die Rösser dabei antrieb, war wieder jener mit der angenehmen Stimme. Als der Maibaum gerade stand, nahm er, während er noch mit der Rechten die Zügel straff hielt, mit der Linken geschwind eine Axt vom Fuhrwerk. Dann gab er die Zügel einem Kollegen und trieb mit sicherer Hand die Holzkeile in den Boden, die den Stamm fixierten. Dem jungen Mann schallten für seine große Geschicklichkeit von den Festbesuchern Jubelrufe und viel Applaus entgegen.
Als Anna am frühen Abend von der Feier ins Hotel zurückkehrte, saß der junge Mann mit seinen Arbeitskollegen in der Gaststube beim Bier. Sobald er ihrer ansichtig wurde, erhob er sich von seinem Platz und bat sie, sich zu ihm zu setzen. Sie zögerte kurz, dann nahm sie am Tisch der Zimmermannsleute Platz. Sie verstand allerdings nicht viel mehr als die Hälfte der Unterhaltung, denn jeder hatte seine eigene Sprache oder redete in einem Dialekt, der ihr fremd war. Erich, wie der freundliche junge Mann hieß, erzählte ihr, dass alle am Tisch auf der Walz seien und von weit her kämen. Er selbst habe hier Arbeit gefunden und sei deshalb schon seit einiger Zeit in Immenstadt.
Im Verlauf der
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