Herrgottswinkel
wollte sie auf der Stelle heiraten. Anna stellte ihn ihren Eltern vor, doch mit einem derartigen Widerstand ihres Vaters hatte sie nicht gerechnet.
»Elf Jahre jünger als du ist er, das kann doch nicht gut gehen! Es ist einfach nicht normal, dass die Frau älter ist als der Mann«, schimpfte der alte Engelbert.
»Und wieso soll das nicht normal sein? Ihr seid doch auch fünf Jahre älter als die Mutter.« Anna ließ nicht locker, es wollte ihr nicht in den Kopf, dass man in diesem Punkt mit zweierlei Maß messen sollte.
»Frauen altern schneller als Männer, weil sie die Kinder bekommen. Deswegen ist so ein Altersunterschied nicht gut. Und jetzt möchte ich von dieser Hochzeit nichts mehr hören«, beendete der Vater, keine Widerworte mehr duldend, die Unterhaltung.
Anna konnte ihrem Vater unmöglich gestehen, dass sie schwanger war und die Zeit drängte. Aber weil sie so große Angst vor ihm hatte, schwieg sie und fügte sich scheinbar seinen Anweisungen. Vielleicht konnte sie etwas erreichen, wenn sie die Mutter auf ihre Seite bekam. Aber Johanna schlug nur die Hände über dem Kopf zusammen, als sie von Annas neuer Schwangerschaft erfuhr. »Joramleh, Fehl, hosch du no nix glernat vum letschta Mol?«, brach es aus ihr heraus. Auch sie wusste keine Lösung für Annas Problem.
Anna versteckte ihr wachsendes Bäuchlein, was den Winter über ganz gut ging, da sie sowieso dicke Kleider tragen musste. Außerdem nahm sie diesmal lange nicht so an Umfang zu wie bei ihrem ersten Kind. Niemand in ihrer Familie ahnte, was unter den weiten Kleidern heranwuchs, ihre Mutter bewahrte das Geheimnis und suchte nach einem Ausweg. Als Ostern kam, schlug sie Anna vor, ihr Problem durch Ehrlichkeit zu lösen und nochmals – gemeinsam mit Erich – beim Vater vorzusprechen.
Der alte Bietsch wurde weiß wie ein Bettlaken, als er erfuhr, in welchen Umständen seine älteste Tochter nun schon zum zweiten Mal war, und dass das Kind schon in zwei Monaten zur Welt kommen sollte.
»Du machst doch immer, was du willst«, stieß er zornig hervor. »Aber sag nicht, dass ich dich nicht gewarnt hätte! Renn in dein Unglück und tu, was du nicht lassen kannst. Hast du dir das auch gut überlegt, deine Zukünftige ist elf Jahre älter als du«, fragte er Erich voller Bitterkeit. »Du weißt, was Gott zusammenfügt, soll der Mensch nicht trennen!« Für ihren Vater wäre eine Scheidung noch schlimmer gewesen als ein zweites uneheliches Kind. Ohne auf Erichs Antwort zu warten, stürmte er aus der Stube.
Die Hochzeit wurde im kleinsten Kreis gefeiert. Einer von Annas Brüdern war der eine Trauzeuge, ein Arbeitskollege von Erich der andere. Außer den Brautleuten und den Trauzeugen kamen nur Rosel und Annas Mutter zu den Hoch zeitsfeierlichkeiten. Ihr Vater hatte ihnen noch nicht einmal gratuliert.
VIERTES KAPITEL
Acht Wochen nach der Hochzeit kam die kleine Erika zur Welt. Nun hatte Anna endlich die Familie, von der sie schon immer geträumt hatte und auf die sie so lange hatte warten müssen. Es war wohl die glücklichste Zeit in Annas und Erichs gemeinsamem Leben. Von ihrer Familie hatte Anna zu ihrer Wohn- und Nähstube einen weiteren Raum dazubekommen. Erich hatte, auch aus Geldmangel, in Immenstadt aus seinem möblierten Zimmer ausziehen müssen und war nach Westerhofen gekommen, damit sie so viel wie möglich zusammen sein konnten. Fleißig und geschickt wie er war, hatte er in seiner freien Zeit mit einfachsten Mitteln Annas zwei Zimmer umgebaut, indem er eine Trennwand aus Sperrholz einzog, die aus den beiden großen Räumen vier machte. Jetzt hatten sie eine separate Kammer für das Baby, ein Zimmer für Engelbert, ein Wohn- und Arbeitszimmer und eine weitere Kammer als Elternschlafzimmer.
An einem Sonntagnachmittag einige Jahre später, Anna war gerade zum dritten Mal von Erich schwanger, machte die Familie einen Ausflug nach Sonthofen. In allen Straßen war geflaggt, die Auslagen der Schaufenster zeigten Bilder des Führers und Anna fragte sich, ob jetzt alle übergeschnappt waren mit ihrer unheimlichen Götzenanbetung, da entdeckten die beiden an einer Plakatwand den Aushang, dass der Anstreicher aus Österreich in wenigen Tagen Sonthofen be suchen würde, um in der Burg eine Ansprache an die neuen Offiziere zu halten. Sein Besuch war wohl so kurzfristig anberaumt worden, dass die Stadtväter keine Zeit mehr gehabt hatten, den renovierungsbedürftigen Bahnhof, wo er aus seinem extra für ihn gebauten Salonwagen aussteigen
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