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Herrgottswinkel

Herrgottswinkel

Titel: Herrgottswinkel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ramona Ziegler
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schlafen, das müssen wir doch nicht jetzt besprechen.«
    Anna weinte in dieser Nacht noch lange leise vor sich hin.
    Am folgenden Morgen fasste sie einen Entschluss. Ihr ganzes Leben war ein Kampf gewesen, dann sollte es eben so weitergehen! Eine total Fremde hatte einen Spiegel vor ihr Gesicht gehalten und ihr so die Wahrheit gezeigt. Das mochte schlimm sein, aber jetzt wusste sie wenigstens, woran sie war und was sie ändern musste. Sie musste sich schleunigst um ihr Aussehen – und ihre Ehe – kümmern! Und von dem, was Anna einmal beschlossen hatte, rückte sie nicht ab, da war sie ganz die Tochter ihres Vaters Engelbert!
    Aber die Zeiten wurden noch schlechter, als sie es ohnehin schon waren. Erich wurde arbeitslos. Er wurde launisch, da er sich unnütz vorkam. Das Zusammenleben wurde unerträglich, obwohl er nicht träge und voller Selbstmitleid he rumsaß, sondern viel las und in der Nachbarschaft half, wo immer er gebraucht wurde. Aber ein Mann ohne Arbeit ist wie ein Baum ohne Wasser. Er fühlte sich wie ein Nichtskönner, ein unnützer Esser, abgeschrieben und ausgemustert. Es musste dringend etwas geschehen, auf ihrer Wohnungstür stand ohnehin seit längerem in unsichtbaren Buchstaben »Wo die Not einzieht, zieht die Liebe aus«.
    Bei seiner Suche nach Arbeit stieß er auf ein verlockendes Stellenangebot der Firma Bayer in Leverkusen. Als er Anna davon erzählte, fiel sie aus allen Wolken.
    »Wie stellst du dir das vor, Erich«, fragte sie ihn aufgebracht. »Du gehst fort und lässt mich hier mit den Kindern allein? Das kannst du dir aus dem Kopf schlagen!«
    »Doch nicht für immer, nur vorübergehend, bis ich hier in der Nähe wieder etwas finde. Es kann ja nicht ewig so schlecht bleiben«, beschwichtigte er sie. »Schau nur, wie viel ich da verdienen kann, das würde all unsere Probleme lösen. Und alle drei Wochen kann ich für vier Tage hierherkommen, wenn ich die Schichtarbeit bekomme.«
    Anna zögerte, aber innerlich musste sie ihm recht geben. So konnte es nicht weitergehen. Sie willigte ein.
    An einem sonnigen Samstag packte sie einige Kleidungsstücke in Erichs alten, braunen Lederkoffer und begleitete ihn zum Bahnhof nach Sonthofen. Erst in einigen Wochen würde sie ihn wiedersehen. Es war ihre erste längere Trennung, seit sie sich kennengelernt hatten. Anna fühlte sich ihrem Mann nahe, wie seit langem nicht mehr, spürte eine Vertrautheit, die viel stärker war als jedes Verliebtsein. Die Wurzeln, die sie in ihrem tiefsten Inneren mit ihm verbanden, waren über lange Jahre gewachsen. Sie winkte, bis das rote Rücklicht am letzten Waggon des Zuges hinter einer Kurve verschwunden war.
    Nach einigen Tagen kam ein Brief, in dem er ihr freudig mitteilte, dass er nicht nur die Stelle, sondern auch nette Arbeitskollegen bekommen und ein günstiges Zimmer ganz in der Nähe seiner neuen Arbeitsstelle gefunden hätte. Für Anna vergingen die nächsten Wochen unendlich langsam, sie konnte es kaum erwarten, bis sie wieder am Bahnsteig stand, um ihn zum ersten Mal abzuholen. Sie merkte jeden Tag mehr, wie sehr er ihr fehlte. So ging es auch die nächsten Monate weiter, Erich hielt sich an seine Zusage und besuchte Anna alle drei Wochen. Ihm schien es in Leverkusen gut zu gehen, die Schichtarbeit gefiel ihm und das für ihre Verhältnisse un gewohnt hohe Einkommen beflügelte geradezu seine Le benslust, während es Anna von den Zwängen befreite, sich dauernd Sorgen um das Auskommen der Familie machen zu müssen. Sie hatte sogar angefangen, sich ab und an etwas zu gönnen – und sie hatte es gewagt, einen schlecht bezahlten Änderungsauftrag abzulehnen!
    Nach etwa vier Monaten bekam Anna ein Telegramm von Erich, dass er eine zusätzliche Schicht übernehmen würde und nächstes Wochenende nicht kommen könne. In einem weiteren Brief würde er ihr genauer erklären, wie sein Arbeitsplan in der nächsten Zeit aussehen würde und wann genau er das nächste Mal ins Allgäu fahren könne. Als der Brief eintraf, zählte Anna die Wochen, bis sie wieder mit Erich zusammen sein würde, und kam auf fast zwei Monate, die bis dahin vergehen würden. Sie schrieb ihm zurück, wie sehr sie ihn vermisse und dass sie lieber mit weniger Geld auskommen wolle, als ihn so selten zu sehen. Als sie die Empfängeradresse auf das Kuvert schreiben wollte, drehte sie seinen Briefumschlag um, weil sie die Hausnummer in Leverkusen vergessen hatte. Erstaunt stellte sie fest, dass Erich auf seinem Brief eine ganz andere Straße

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