Herrin der Dunkelheit
mittelalterlich grünlich-braune Kappe des Mark Hopkins Hotels. Die Grace Cathedral auf dem Nob Hill wurde von Hochhäusern verdeckt, aber der modernistische Zylinder von St. Mary’s Cathedral auf der kürzlich in Cathedral Hill umbenannten Anhöhe war deutlich zu erkennen.
Dann fiel ihm ein, dass er versuchen könnte, das siebenstöckige Hochhaus zu finden, in dem er wohnte. Von seinem Fenster aus konnte er Corona Heights sehen, ergo musste er von Corona Heights aus auch sein Fenster sehen können. Das Gebäude lag in einem schmalen Schlitz zwischen zwei anderen Hochhäusern, fiel ihm ein, aber bei dem jetzigen Sonnenstand musste das Licht direkt in diesen Schlitz fallen.
Zu seiner Verblüffung war die Suche alles andere als einfach. Von hier oben aus gesehen waren die Dächer der kleineren Gebäude ein zusammenhängendes Meer ohne jede Identifizierungsmerkmale, und perspektivisch so verkürzt, dass man kaum den Verlauf der Straßenzüge ausmachen konnte – ein Schachbrett, von einer seiner Kanten aus gesehen. Die selbstgestellte Aufgabe nahm ihn so gefangen, dass er seiner unmittelbaren Umgebung keinerlei Beachtung mehr schenkte. Wenn die beiden kleinen Mädchen jetzt zurückgekommen wären und sich dicht neben ihn gestellt hätten, würde er sie sicher kaum bemerkt haben. Doch das alberne, kleine Problem, das er sich selbst gestellt hatte, erwies sich als so schwierig, dass er mehr als einmal versucht war, aufzugeben.
Wirklich, die Dächer der Stadt waren eine fremde, dunkle Welt für sich, die den Millionen von Menschen, die unter ihnen lebten, völlig unbekannt blieb, mit ihrer eigenen Bevölkerung, ihren eigenen Geistern und ›paramentalen Wesen‹.
Doch er gab nicht auf, und die Entdeckung einiger Wassertanks, von denen er wusste, dass sie auf dem Dach eines Gebäudes standen, das in der Nähe des seinen stand, und die Inschrift BEDFORD HOTEL, in riesigen Buchstaben auf die Seitenwand eines anderen Gebäudes gemalt, gaben ihm neuen Mut, und schließlich gelang es ihm, sein Apartment-Haus zu identifizieren.
Seine Aufgabe nahm ihn völlig gefangen.
Ja, dort war der Spalt zwischen den beiden Hochhäusern! Und dort war sein Fenster, das zweite von oben, winzig, aber deutlich zu erkennen in dem hellen Sonnenlicht. Ein Glück, dass er es jetzt noch entdeckt hatte – der Schatten, der sich über die Wand des Gebäudes schob, würde es bald verdunkeln.
Und plötzlich begannen seine Hände so zu zittern, dass sie das Fernglas fallen ließen. Nur der um den Hals geschlungene Riemen verhinderte, dass es auf den Felsen zersplitterte.
Eine fahlbraune Gestalt lehnte aus seinem Fenster und winkte zu ihm herüber.
Die ersten Zeilen eines albernen, kleinen, volkstümlichen Gedichts fielen ihm ein:
Taffy was a Welshman, Taffy was a thief.
Taffy came to my house and stole a piece of beef. { * }
Doch es waren die letzten Zeilen, die ihm dann immer wieder im Kopf herumgingen:
I went to Taffy’s house, Taffy wasn’t home.
Taffy went to my house and stole a marrowbone. { ** }
Du darfst dich um Gottes willen nicht aufregen, sagte er sich, nahm das Fernglas wieder in die Hände und hob es vor die Augen. Und atme nicht so rasch, du bist schließlich nicht gelaufen!
Es dauerte eine Weile, bis er den Spalt zwischen den beiden Hochhäusern und sein Wohngebäude wieder gefunden hatte, doch als es ihm endlich gelungen war, sah er die Gestalt wieder in seinem Fenster. Fahlbraun, wie alte Knochen – verdammt, werde nur nicht morbide! Vielleicht waren es nur die Vorhänge, sagte er sich, die vom Wind aus dem Fenster geweht wurden – er hatte es offen gelassen. In dieser Gegend gab es immer wieder plötzliche Böen, besonders zwischen den Hochhäusern. Seine Fenstervorhänge waren natürlich grün, aber ihre Rückseite war von einer so fahlbraunen Farbe.
Und die Gestalt winkte ihm jetzt nicht zu – wenn sie zu tanzen schien, so kam das vom Zittern seines Feldstechers –, sondern schien nur nachdenklich zu ihm herüberzublicken, als ob sie ihm sagen wollte: ›Sie haben darauf bestanden, mein Heim zu besuchen, Mr. Westen, also habe ich die Gelegenheit wahrgenommen, mich bei Ihnen umzusehen.‹ Was soll der Unsinn! wies er sich selbst zurecht. Was wir jetzt am allerwenigsten gebrauchen können, ist schriftstellerische Fantasie.
Er ließ das Fernglas sinken, um seinem Herzschlag Gelegenheit zu geben, sich wieder zu normalisieren, und seine verkrampften Finger zu bewegen. Plötzlich spürte er eine
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