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Herrin der Dunkelheit

Herrin der Dunkelheit

Titel: Herrin der Dunkelheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fritz Leiber
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wurde, goss er sich eine zweite Tasse Kaffe ein und trug sie hinunter zu Cals Apartment. Die Tür stand einen Spaltbreit offen. Cal saß an ihrem elektronischen Klavier, und ihre Schultern bewegten sich rhythmisch, als sie mit furioser Präzision auf die Tasten hämmerte, die Ohren von den großen Muscheln des Kopfhörers verdeckt. Franz glaubte, den Geist eines Concertos zu hören, aber vielleicht war es auch nur das kaum vernehmbare Geräusch der Tastatur.
    Saul und Gun saßen auf der Couch und unterhielten sich leise. Gun hielt eine grüne Flasche in der Hand. Franz erinnerte sich an den scharfen Wortwechsel der beiden an diesem Morgen und versuchte, Anzeichen von Spannung zu entdecken, doch zwischen den beiden schien völlige Harmonie zu herrschen. Vielleicht hatte er ihren Worten eine zu große Bedeutung beigemessen.
    Saul Rosenzweig, ein hagerer Mann mit schulterlangem, schwarzem Haar und dunkelumrandeten Augen, wandte den Kopf und grinste Franz an. »Hallo! Calvina hat uns gebeten, ihr Gesellschaft zu leisten, während sie übt, obwohl ich glaube, dass zwei Schaufensterpuppen das genauso gut tun könnten. Aber Calvina ist im Grunde genommen eine romantische Puritanerin. Sie will uns nur frustrieren.«
    Cal hatte den Kopfhörer abgenommen und erhob sich. Ohne einen der drei Männer anzublicken, und ohne ein Wort zu sagen, nahm sie ein Kleid und Unterwäsche vom Bett und verschwand wie eine Schlafwandlerin im Bad, aus dem kurz darauf das Geräusch der Dusche zu hören war.
    Die drei Männer unterhielten sich über dies und jenes, und Saul drehte sich sorgfältig eine lange Haschisch-Zigarette. Ihr scharfer Rauch war angenehm, doch Franz und Gun lehnten Sauls Angebot, sie mit ihm zu teilen, freundlich lächelnd ab. Gun setzte seine Bierflasche an die Lippen und nahm einen langen Zug.
    Cal kam nach einer erstaunlich kurzen Zeit wieder aus dem Bad, und sie wirkte frisch und mädchenhaft in ihrem dunkelbraunen Kleid. Sie schenkte sich ein Glas Orangensaft ein und setzte sich auf einen Stuhl. »Saul«, sagte sie ruhig, »du weißt sehr gut, dass ich nicht Calvina heiße, sondern Calpurnia – nach der römischen Kassandra, die Cäsar ständig gewarnt hat. Ich mag eine Puritanerin sein, aber ich bin nicht nach Calvin benannt worden. Meine Eltern wurden beide als Presbyterianer geboren, das stimmt, aber mein Vater hat schon sehr früh zum Unitarismus konvertiert und starb als frommer Ethical Culturist. Er hat zu Emerson gebetet und bei Robert Ingersoll geschworen. Während meine Mutter, ziemlich frivol, der Bahai-Sekte angehörte. Und ich besitze leider keine zwei Schaufensterpuppen, sonst hätte ich sie vielleicht verwendet. Nein, kein Pot, danke. Ich muss mich bis morgen abend intakt halten. Aber ich danke euch, dass ihr gekommen seid. Es hilft mir, wenn ich weiß, dass andere Menschen im Raum sind, selbst wenn ich nicht ansprechbar bin. Es hilft mir besonders, wenn es Abend wird. Das Bier riecht herrlich, Gun, aber leider … aus demselben Grund, aus dem ich Sauls Pot abgelehnt habe. Franz, du siehst irgendwie glücklich aus. Was ist auf Corona Heights geschehen?«
    Beglückt darüber, dass sie an ihn gedacht, ihn so genau beobachtet und seine Stimmungslage so richtig erkannt hatte, berichtete Franz ihr von seinen Abenteuern. Er wunderte sich, dass sie ihm beim Erzählen plötzlich so trivial und soviel weniger beängstigend erschienen, und paradoxerweise bedeutend unterhaltsamer – Fluch und Segen des Schriftstellers.
     
    Gun fasste fröhlich grinsend zusammen: »Also du gehst, um diese Erscheinung, oder was es sonst war, zu checken und stellst fest, dass sie verschwunden ist und dir aus deinem eigenen Fenster, zwei Meilen entfernt, eine Nase dreht. ›Taffy ging zu meinem Haus‹ … sauber.«
    Saul sagte: »Deine Taffy-Story erinnert mich an meinen Mr. Edwards. Er ist überzeugt, dass zwei Feinde von ihm in einem geparkten Wagen gegenüber vom Hospital sitzen und einen Schmerz-Strahlen-Projektor auf ihn gerichtet halten. Wir haben ihn im Rollstuhl auf die andere Straßenseite gefahren, damit er sich selbst davon überzeugt, dass in keinem der Wagen irgendein Gerät ist. Er war sehr erleichtert darüber und hat sich überschwänglich bei uns bedankt, aber als wir ihn in sein Zimmer zurückgebracht hatten, begann er plötzlich zu schreien. Anscheinend hatten seine Feinde seine Abwesenheit dazu benutzt, den Schmerz-Strahlen-Projektor in einer der Wände zu installieren.«
    »Oh, Saul«, sagte Cal mit mildem

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