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Herrin der Dunkelheit

Herrin der Dunkelheit

Titel: Herrin der Dunkelheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fritz Leiber
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das Fernglas in die Tasche schob, stand sein Entschluss fest: er würde heute auf den Gipfel der Corona Heights steigen. Es war ein zu schöner Tag, um zu Hause zu bleiben.
    »Wenn du nicht zu mir kommen willst, komme ich eben zu dir«, sagte er und dachte dabei sowohl an Corona Heights als auch an den Menschen, der auf dem Gipfel lauerte. Der Berg war zu Mohammed gekommen, dachte er, aber dem hatten auch seine Dschinns geholfen.

 
6
     
    Eine Stunde später ging Franz die steile Beaver Street hinauf. Er atmete tief durch, um später keinen Luftmangel zu bekommen. Er hatte den Satz über die Zeit, die sich räusperte, dem Manuskript von Unheimlicher Untergrund, Nr. 7 hinzugefügt, das Kuvert verschlossen und in einen Postkasten gesteckt. Als er aufgebrochen war, hatte er sich das Fernglas um den Hals gehängt, wie ein Bilderbuch-Abenteurer, so dass Dorotea Luque, die mit einigen älteren Mietern in der Eingangshalle stand und auf den Briefträger wartete, grinsend bemerkt hatte: »Du gehst jetzt auf Suche nach schrecklichen Dingen, für schreiben Geschichten darüber, ja?« Und er hatte geantwortet: »Si, Señora Luque. Espectros y fantasmas.« Aber später, nachdem er den Muni-Car bei der Market Street verlassen hatte, hielt er es doch für richtiger, das Glas in die Tasche zu stecken. Die Gegend wirkte ruhig und sicher, aber trotzdem war es besser, seinen Reichtum nicht so demonstrativ zur Schau zu stellen, und das schien ihm bei einem Feldstecher noch mehr der Fall als bei einer Kamera. Es war traurig, dass die großen Städte so unsicher und gefährlich geworden waren. Er hatte Cal einmal zurechtgewiesen, dass sie eine solche Angst vor Muggers und Verrückten hatte, und jetzt benahm er sich genauso wie sie. Aber er war froh, dass er allein gekommen war. Die Erforschung von Orten, die er zuerst von seinem Fenster aus beobachtet hatte, war eine natürliche, neue Phase seines Wirklichkeits-Trips, und eine sehr persönliche.
    An diesem Morgen waren nur sehr wenige Menschen auf den Straßen. Im Augenblick konnte er nicht einen einzigen entdecken. Er spielte ein paar Sekunden lang mit der Vorstellung einer großen modernen Stadt, die plötzlich von allen Bewohnern verlassen worden war, wie die Marie Celeste, oder das Luxushotel in dem beunruhigend brillanten Film Letztes Jahr in Marienbad.
    Von hier aus konnte er Corona Heights überhaupt nicht sehen. Der Berg wurde von den Häusern dieser Straße verdeckt (und auch von dem Fernsehturm). Auffällig aus der Ferne – in Market Street und Duboce Street hatte er einen guten Ausblick auf den Gipfel gehabt – hatte er sich bei seiner Annäherung versteckt, wie ein fahlbrauner Tiger. Franz zog seine Straßenkarte heraus, um sich zu überzeugen, dass er nicht den Weg verfehlt hatte.
    Hinter der Castro Street wurden die Straßen noch steiler, und er musste zweimal stehenbleiben, um seinen Atem zu beruhigen.
    Schließlich erreichte er, am Ende einer kurzen Straße, eine T-Kreuzung. An der linken Abzweigung erhoben sich mehrere neue Wohnblocks, auf der anderen parkte ein Wagen, in dem zwei Menschen saßen – dann erkannte er, dass er die Kopfstützen der Vordersitze mit Köpfen verwechselt hatte. Sie sahen wirklich wie kleine, dunkle Grabsteine aus!
    Hier standen keine Gebäude mehr. Grüne und braune Terrassen führten zu einem gezackten Hügelkamm hinauf, der sich scharf gegen den blauen Himmel abhob. Er hatte endlich Corona Heights erreicht.
    Nach einer ausgedehnten Zigarettenpause begann er den Aufstieg, vorbei an mehreren Tennisplätzen und Rasenflächen zu einem auf beiden Seiten mit Drahtzäunen eingefassten Weg. Er fühlte sich wohl in der frischen Luft. Als er einmal stehenblieb und zurückblickte, sah er den Fernsehturm weniger als eine Meile entfernt. Er wirkte gigantisch (und ästhetischer als jemals zuvor), und irgendwie in der richtigen Perspektive. Nach einer Weile fiel ihm ein, dass er ihn von hier aus in derselben Größe sah, wie durch das vergrößernde Objektiv seines Feldstechers von seinem Fenster aus.
    Nach einer halben Meile oder so kam er an einem lang gestreckten, einstöckigen Gebäude vorbei, das er als Josephine Randall Junior-Museum identifizierte. Auf der großzügigen Parkfläche vor diesem Bau stand ein Kastenwagen mit der Aufschrift ›Gehsteig-Astronom‹. Er erinnerte sich, dass Dorotea Luques Tochter Bonita ihm einmal erzählt hatte, hier könnten Kinder ihre zahmen Eichhörnchen und Schlangen und japanischen Ratten (oder waren es

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