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Herrin der Dunkelheit

Herrin der Dunkelheit

Titel: Herrin der Dunkelheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fritz Leiber
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Zigaretten, Bier und Wodka.
    Nach einem kurzen Blick auf die im Sonnenlicht schimmernden Wasser der Bay richtete er das Glas auf das Häusermeer der City und entdeckte, dass die einzelnen Gebäude von hier aus kaum zu identifizieren waren. Entfernung und Perspektive hatten Farbtöne und Relation verändert. Außerdem waren die Wolkenkratzer dieses Stadtbereichs ohnehin nur schwer auseinander zuhalten. Sie waren so anonym – hatten weder auffallende Unterscheidungsmerkmale noch Namen, keine Statuen oder Wetterhähne oder Kreuze auf ihren uniform flachen Dächern, keine individuellen Fassaden, keinerlei architektonische Ornamentation; sie waren lediglich leere Flächen aus gesichtslosem Stein, oder Zement, oder Glas, und sie waren hell, wenn das Licht der Sonne sie traf, und dunkel, wenn sie im Schatten lagen. Man konnte sie mit Fug und Recht die ›gargantuanischen Gräber‹ oder ›die vertikalen Särge der lebenden Menschheit‹ nennen, die ›Brutstätte für die schlimmsten der paramentalen Wesen‹, wie sie der alte de Castries in seinem Buch genannt hatte.
    Nach einer Weile weiterer teleskopischer Studien gelang es ihm, zumindest zwei der Wolkenkratzer zu identifizieren. Er ließ sein Fernglas sinken und holte aus der anderen Jackentasche ein mit kaltem Fleisch belegtes Sandwich, das er sich vor dem Aufbruch zurechtgemacht hatte. Während er es auswickelte und langsam zu essen begann, dachte er daran, dass er eigentlich ein sehr glücklicher Mensch war. Noch vor einem Jahr war er ein haltloser Säufer gewesen, aber jetzt …
    Er hörte ein leises Knirschen von Kies, und dann noch einmal. Er wandte sich um, konnte aber nichts entdecken. Er war nicht einmal sicher, aus welcher Richtung das Geräusch gekommen war. Das Sandwich klebte plötzlich trocken in seinem Mund.
     
    Es kostete ihn einige Anstrengung, zu schlucken und weiterzuessen und den durch das Geräusch unterbrochenen Gedankengang fortzusetzen. Ja, jetzt hatte er Freunde wie Gun und Saul … und Cal … und sein Gesundheitszustand war erheblich besser als vor einem Jahr, und vor allem hatte er wieder Freude an seiner kostbaren Arbeit (kostbar für ihn zumindest), selbst an dieser entsetzlichen Serie Unheimlicher Untergrund.
    Wieder ein leises Knirschen, und dann ein seltsames, helles Lachen. Er spannte seine Muskeln an und blickte rasch umher, das Sandwich und seine Gedanken waren vergessen.
    Wieder hörte er das Lachen, das sich zu einem schrillen Kreischen steigerte, und dann kamen hinter einem breiten Felsen zwei kleine Mädchen hervorgeschossen. Eins jagte hinter dem anderen her, und sie quietschten ausgelassen, als es seine Freundin erwischte und herumriss, in einem Wirbel braungebrannter Haut und blonder Zöpfe.
    Franz blieb kaum Zeit zu der Überlegung, wie gründlich dieser Anblick Cals (und seine eigenen) Ängste und Vorurteile über diesen Berg widerlegte, und für den nachträglichen Gedanken, dass es trotzdem nicht richtig war, wenn Eltern solche kleinen und attraktiven Kinder (sie waren nicht älter als sieben oder acht Jahre) allein durch eine so abgelegene und einsame Gegend streifen ließen, als hinter den Felsen ein zottiger Bernhardiner hervortrabte, den die beiden Mädchen sofort in ihr fröhliches Spiel einbezogen. Doch nach wenigen Sekunden wirbelten sie herum und liefen den Weg hinab, auf dem Franz heraufgekommen war, und ihr zottiger Beschützer folgte ihnen. Entweder hatten sie Franz nicht bemerkt, oder sie hatten es vorgezogen, so zu tun, als ob sie ihn nicht bemerkt hätten. Er lächelte darüber, wie deutlich ihm dieser kleine Zwischenfall demonstriert hatte, was für ein unvermutet großer Rest von Nervosität in ihm zurückgeblieben war. Sein Sandwich schmeckte jetzt nicht mehr trocken.
    Er knüllte das Wachspapier zu einem Ball zusammen und steckte ihn in die Tasche. Die Sonne stand bereits im Westen, und ihr Licht fiel auf die fernen Wände der Hochhäuser, die vor ihm lagen. Fahrt und Aufstieg hatten mehr Zeit in Anspruch genommen, als er vorausgesehen hatte, und er war auch länger auf dem Gipfel geblieben, als er vorgehabt hatte. Wie lautete doch das Epitaph, das Dorothy Sayers einmal auf einem alten Grabstein entdeckt hatte? Ja, richtig: ›Es ist später, als du denkst.‹ Kurz vor dem Zweiten Weltkrieg hatten sie einen damals sehr beliebten Schlager daraus gemacht: ›Vergnüge dich, es ist später, als du denkst.‹ Aber er hatte viel Zeit.
     
    Er hob wieder den Feldstecher an die Augen und betrachtete die

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