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Herrin der Dunkelheit

Herrin der Dunkelheit

Titel: Herrin der Dunkelheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fritz Leiber
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machte Olga Wortly, die Herrin des Vergessens, die Königin der Träume, die geschlossene Abteilung ruhig und friedlich«, fuhr Saul fort, »und wurde dafür oft und überschwänglich gelobt –, denn jeder ist glücklich, wenn eine Abteilung keine Schwierigkeiten macht –, bis sie eines Nachts ein wenig zu weit ging: Ein Patient erhielt eine zu starke Dosis und lag am nächsten Morgen tot in seinem Bett, ein glückliches Lächeln auf den Lippen. Und Olga Wortly war verschwunden und wurde nie wieder gesehen.
    Irgendwie ist es ihnen dann gelungen, die Sache zu vertuschen – ich glaube, sie schrieben den Tod des Patienten einer Epidemie galoppierender Hepatitis zu oder einem bösartigen Ekzem – und sie suchen noch immer nach Olga Wortly.
    Das ist die ganze Geschichte«, sagte er mit einem Achselzucken, »wenn man davon absieht« – er hob dramatisch einen Finger – »wenn man davon absieht, dass die Leute in der geschlossenen Abteilung behaupten, in mondhellen Nächten – so wie dieser –, wenn es Zeit zum Schlafen wird und die Schwester sich mit dem Tablett der Nachtmedikation auf den Weg zu den Krankenzimmern macht, plötzlich ein durchdringender Geruch von Paraldehyd aus dem Schwesternzimmer dringt (obwohl sie diese Droge seither nie wieder verwendet haben), und er zieht von Zimmer zu Zimmer, von Bett zu Bett, ohne auch nur eins auszulassen … die unsichtbare Krankenschwester macht ihre Runde!«
    Und mit mehr oder weniger begeisterten Ahs und Ohs und Gelächter setzten sie sich in Bewegung. Bonita schien völlig zufriedengestellt. Dorotea sagte: »Oh, ich Angst haben! Wenn aufwachen heute nacht, ich denken, dass Schwester kommt, die ich nicht sehen kann, um mir geben dieses Parryalley-Zeug.«
    »Par-al-de-hyd«, korrigierte Fernando langsam, doch mit überraschender Genauigkeit.

 
9
     
    Es war so viel Zeug in Sauls Zimmer, und so viel verschiedenes Zeug in einem chaotischen Durcheinander (es war in dieser Beziehung die Antithese zu Guns Zimmer), dass man sich wunderte, warum es nicht wie ein Misthaufen wirkte – bis man erkannte, dass keiner der vielen Gegenstände lieblos hin- oder weggeworfen worden war. Man spürte die enge Beziehung, die Saul zu jedem einzelnen dieser Dinge hatte: zu den sachlichen, unretuschierten Fotografien von Menschen, zumeist älteren Menschen (Patienten seines Krankenhauses, erklärte Saul und deutete auf Mr. Edwards und Mrs. Willis); Bücher, von Merck’s Manual bis Colette, von The Family of Man bis zu Henry Miller, von Edgar Rice bis zu William S. Burroughs und George Borrow (The Gipsies in Spain, Wild Wales, und The Zinsali); Nostigs The Subliminal Occult (das überraschte Franz wirklich); eine Menge Perlenarbeiten von Hippies, Indern und amerikanischen Indianern; ein Bierkrug mit frischen Blumen; eine Karte von Asien; und ein paar Dutzend Gemälde und Zeichnungen, vom Kindlichen übers mathematisch Exakte bis hin zum orgiastisch Wilden, darunter ein herrliches Abstraktes, Acryl auf schwarzem Karton, mit einem bizarren Durcheinander von Formen und Farben, die eine Miniatur des liebevollen Chaos zu sein schien, das in diesem Raum herrschte.
    Saul deutete darauf und sagte: »Das habe ich gemacht, als ich das einzige Mal in meinem Leben Kokain genommen hatte. Falls es eine Droge geben sollte, was ich bezweifle, die dem Verstand etwas gibt, anstatt ihm etwas zu nehmen, dann ist es Kokain. Wenn ich jemals wieder auf Drogen einsteigen sollte, würde ich Kokain nehmen.«
    »Wieder?« sagte Gun skeptisch. »Und was ist mit Pot?«
    »Das Zeug ist Kinderkram«, winkte Saul ab, »eine Frivolität, ein gesellschaftliches Anregungsmittel, in derselben Kategorie wie Tabak, Kaffee und Tee. Als Anslinger es durchsetzte, dass der Kongress Haschisch und Marihuana – in praxi – zu harten Drogen erklärte, hat er die Entwicklung der amerikanischen Gesellschaft und die Mobilität seiner Klassen gründlich versaut.«
    »Ist es wirklich so schlimm?« fragte Gunnar skeptisch.
    »Pot ist auf jeden Fall nicht so gefährlich wie Alkohol«, stimmte Franz zu, »der von der Gesellschaft akzeptiert wird; zumindest von dem Teil, der mit der Werbung zu tun hat: trinkt Whisky, und ihr werdet sexy, reich und gesund, versprechen die Inserate. Weißt du, Saul, es war komisch, dass du Paraldehyd in deiner Story erwähnt hast. Als ich zum letzten Mal vom Alkohol ›separiert‹ worden bin – um diesen delikaten medizinischen Ausdruck zu gebrauchen – habe ich drei Nächte hintereinander etwas Paraldehyd

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