Herrin der Dunkelheit
Zustimmung.
Kurz darauf stellten alle fest, dass sie Hunger hatten und zusammen zu dem deutschen Koch um die Ecke gehen sollten, weil er heute Sauerbraten hatte. Dorotea ließ sich überreden mitzugehen. Unterwegs sammelten sie noch ihre Tochter Bonita und den schweigsamen Fernando auf.
Cal, die neben Franz am Ende der kleinen Gruppe ging, fragte ihn: »Taffy ist etwas Ernsteres, als du es darstellst, nicht wahr?«
Er musste es zugeben, obwohl er über einige der Ereignisse dieses Tages seltsam unsicher geworden war: Der übliche, nicht allzu unangenehme Abendnebel legte sich auf sein Gehirn wie der Geist des früheren alkoholischen Nebels. Hoch am Himmel stand die asymmetrische Scheibe des zunehmenden Mondes, und sein Licht rivalisierte mit der Straßenbeleuchtung.
»Als ich glaubte, diese Gestalt in meinem Fenster zu sehen«, sagte er, »habe ich nach allen nur möglichen Erklärungen gesucht, weil ich vermeiden wollte, an ein – übernatürliches Phänomen glauben zu müssen. Ich habe sogar daran gedacht, dass du es sein könntest, in deinem alten Morgenrock.«
»Ja, ich könnte es gewesen sein, aber ich war es nicht«, sagte sie ruhig. »Ich habe noch immer deinen Schlüssel. Gun hat ihn mir an dem Tag gegeben, als du das große Paket erwartetest und Dorotea ausgegangen war. Ich werde ihn dir nach dem Abendessen zurückgeben.«
»Das eilt nicht.«
»Ich wünschte, ich könnte herausbekommen, was dieses ›607 Rhodes‹ bedeutet«, sagte sie, »und welchen Namen unser Gebäude hatte – falls es jemals einen gehabt haben sollte.«
»Ich werde mir etwas einfallen lassen«, sagte er. »Cal, hat dein Vater wirklich bei Robert Ingersoll geschworen?«
»Oh ja. ›Im Namen des …‹ und so weiter, und bei William James ebenfalls, und bei Felix Adler, dem Gründer der Ethical Culture. Seine ziemlich areligiösen Glaubensbrüder fanden das etwas komisch, doch er mochte den Klang der priesterlichen Sprache. Für ihn war die Wissenschaft ein Sakrament.«
In dem kleinen, freundlichen Restaurant schoben Saul und Gun zwei Tische zusammen, und Rose, die blonde Kellnerin, sah ihnen dabei wohlwollend zu. Als sie Platz genommen hatten, saß Saul zwischen Dorotea und Bonita, und Gun an der anderen Seite des Mädchens. Bonita hatte das blauschwarze Haar ihrer Mutter, war jedoch schon jetzt einen halben Kopf größer als sie und eher ein Anglo-Typ: schmaler Körper und schmales Gesicht, und sie hatte auch nicht die Spur eines spanischen Akzents in ihrer amerikanischen Schulmädchenstimme. Franz erinnerte sich, irgendwann gehört zu haben, dass ihr jetzt namenloser Vater ein Ire gewesen sei. Obwohl sie in Hose und Pullover schlank und mädchenhaft aussah, wirkte sie doch ein wenig linkisch – ganz anders als die schattenhafte, davonhuschende Gestalt, die ihn am Morgen flüchtig erregt und unangenehme Erinnerungen hervorgerufen hatte.
Er saß neben Gun, Cal zwischen ihm und Fernando, an dessen anderer Seite seine Schwester saß. Rose nahm ihre Bestellungen entgegen.
Gun wechselte zu dunklem Bier über. Saul bestellte eine Flasche Wein für sich und die Luques. Der Sauerbraten war hervorragend, die Kartoffelpuffer mit Apfelmus ein Gedicht. Bela, der rotbackige deutsche Koch (genau genommen war er Ungar) hatte sich selbst übertroffen.
Als eine Gesprächspause eintrat, sagte Gun zu Franz: »Das war wirklich eine seltsame Geschichte, die dir auf Corona Heights passiert ist. So nahe am Übernatürlichen, wie es heutzutage möglich ist, würde ich sagen.«
Saul hatte die Worte seines Freundes gehört und sagte sofort: »He! Wie kommt ein materialistischer Wissenschaftler wie du dazu, von übernatürlichen Dingen zu sprechen?«
»Hör auf, Saul«, sagte Gun grinsend. »Klar, ich befasse mich mit der Materie. Aber was ist Materie? Unsichtbare Partikel, Wellen, und Magnetfelder. Nichts Festes, Greifbares. Versuche nur nicht, deiner Großmutter beizubringen, wie man Eier auslutscht.«
»Du hast recht«, grinste Saul. »Es gibt keine andere Realität als die unmittelbaren Empfindungen eines Individuums, sein Bewusstsein. Alles andere ist Interferenz. Selbst die Individuen sind Interferenzen.«
Cal sagte: »Ich glaube, die einzige Realität sind Zahlen … und Musik, aber das ist dasselbe. Beide sind Wirklichkeit, und beide besitzen Macht.«
»Meine Computer geben dir recht«, sagte Gun. »Alles, was sie kennen, sind Zahlen. Musik? Wahrscheinlich könnten sie sie erlernen.«
»Ich bin froh, dass du das gesagt hast«,
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