Herrin der Dunkelheit
daraus zu ersehen sein, aber sein Geist war heiß, wie von einem starken Feuer, und er konnte nicht warten.)
Aufgeregt nahm er das Lineal zur Hand und legte es auf den Stadtplan, zwischen Mount Sutro und die Kreuzung von Clay Street und Montgomery Street am Nordende des Finanzdistrikts. Die Linie, die die Kante des Lineals bildete, verlief genau über den Gipfel der Corona Heights! (Und dicht an der Kreuzung von Geary Street und Hyde Street vorbei, bemerkte er und verzog das Gesicht.)
Er nahm einen Bleistift vom Tisch und malte eine kleine 5 neben die Montgomery-Clay-Kreuzung, eine 4 neben Mount Sutro, und eine 1 in die Mitte von Corona Heights. Er erkannte, dass die Gerade wie ein Waagebalken wirkte, dessen Mittelpunkt, oder Drehpunkt, irgendwo zwischen den Corona Heights und der Kreuzung von Montgomery- und Clay Street lag. Er war sogar mathematisch ausgewogen: vier plus eins sind fünf: genauso, wie es in dem Fluch aufgezeichnet war. Der bedauernswerte Drehpunkt würde sicher von den beiden mächtigen Hebelarmen zu Tode gequetscht werden (›Gebt mir einen festen Standort, und ich werde die Welt aus den Angeln heben‹ – Archimedes).
Ja, der Unglückliche (o) würde ohne jeden Zweifel erstickt werden, zu einem Nichts zerdrückt, besonders, wenn ›die Lasten‹ sich auf ihn senkten.
»Was jetzt?«
Plötzlich erkannte Franz, dass – was immer in der Vergangenheit geschehen sein mochte – die Lasten sich jetzt wirklich herabgesenkt hatten: Der Fernsehturm stand dreibeinig auf Mount Sutro, die Kreuzung von Montgomery- und Clay Street war der Standort der Transamerica Pyramide, dem höchsten Gebäude San Franciscos! (Vorher hatte hier der Monkey Block gestanden, er war abgerissen worden, um zunächst einem Parkplatz zu weichen, und später war dort die Transamerica Pyramide errichtet worden). Näher und näher!
Das war der Grund, warum der Fluch Smith nicht erreicht hatte. Er war gestorben, bevor die beiden Strukturen errichtet worden waren. Die Falle war erst später aufgestellt worden.
Die Transamerica Pyramide und der tausend Fuß hohe Fernsehturm – das waren wirklich Lasten, die alles zerdrücken konnten.
Aber es war doch lächerlich anzunehmen, dass de Castries den Bau dieser beiden Strukturen vorausgesehen haben konnte. Bestenfalls war der Zufall – Glückstreffer – eine einigermaßen plausible Erklärung. Man kann blind auf irgendeine Straßenkreuzung in der Innenstadt von San Francisco tippen, und mit fünfzigprozentiger Wahrscheinlichkeit stand dort, oder zumindest in unmittelbarer Nähe, ein Hochhaus.
Aber warum hielt er dann seinen Atem an? Warum hörte er ein leises Rauschen in seinen Ohren? Warum waren seine Finger kalt und feucht?
Warum hatte de Castries Klaas und Ricker erklärt, dass Hellsehen und Vorauswissen an bestimmten Stellen einer Großstadt möglich waren? Warum hatte er sein Buch (es lag jetzt neben Franz auf der Bettdecke, in einem verstaubten Grau) Megapolisomancy genannt?
Wie auch immer die Wahrheit aussehen mochte, die hinter allem steckte, die Lasten hatten sich wahrhaftig herabgesenkt.
Und das machte es noch wichtiger, den Ort zu finden, der als ›607 Rhodes‹ bezeichnet wurde, wo der alte Teufel gelebt (den letzten Rest seines Lebens in die Länge gezogen) und Smith ihm seine Fragen gestellt hatte … und wo, nach dem Text des Fluches, die Kladde mit dem Text der Grand Cipher verborgen war … und wo der Fluch erfüllt werden sollte. Es war wirklich wie eine Kriminalgeschichte. Von Dashiell Hammett? ›X markiert die Stelle‹, wo das Opfer, zu Tode gequetscht, liegt (liegen wird?). In die Wand des Hauses an der Ecke von Bush und Stockton Street, der Stelle, wo in Dashiell Hammetts Roman The Maltese Falcon Brigid O’Shaunnesy Miles Archer erschossen hatte, war eine Messingplatte eingelassen worden, die an dieses fiktive Ereignis erinnerte, aber es gab keine Gedenktafeln für Thibaut de Castries, einen wirklichen Menschen. Wo war das unfassbare (X)? Wo die mysteriöse (O)? Wo war 607 Rhodes? Er hätte Byers fragen sollen, als er die Gelegenheit dazu hatte. Jetzt anrufen? Nein, er hatte die Verbindung abgebrochen. Beaver Street war eine Gegend, in die er nie wieder zurückkehren würde auch nicht per Telefon. Zumindest vorläufig nicht. Er gab es auf, über dem Stadtplan zu brüten, weil es zu nichts führte.
Sein Blick fiel auf das San Francisco-Adressbuch des Jahres 1927, das er an diesem Vormittag aus der Stadtbücherei entführt hatte und das jetzt den
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