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Herrin der Dunkelheit

Herrin der Dunkelheit

Titel: Herrin der Dunkelheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fritz Leiber
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jemand ein Teleskop, oder ein Fernglas, so präparieren kann, dass man in der Ferne etwas zu sehen glaubt, das gar nicht vorhanden ist?«
    »Ich weiß nicht …«, begann Gunnar. Sein Gesicht drückte Unsicherheit und Verwirrung aus, und seine Hände machten eine Geste von Hilflosigkeit. Dann lächelte er. »Wenn du durch ein zerbrochenes Fernglas blickst, würdest du sicher etwas wie ein Kaleidoskop sehen, vermute ich.«
     
    »Hat Taffy dir einen Streich gespielt?« fragte Saul von der anderen Seite.
    »Lassen wir das jetzt«, sagte Franz zu Gunnar, grinste Saul kurz an (und warf einen raschen Blick nach beiden Seiten und hinter sich – die dicht besetzten Stuhlreihen des Konzertsaals waren eine ausgezeichnete Deckung), und blickte dann zur Bühne, auf der die ersten Instrumentalisten bereits Platz genommen hatten, in einem flachen, konkaven Halbkreis hinter dem Podium des Dirigenten und einer der Streicher stimmte noch einmal sein Instrument. Die hohe, schlanke Harfe stand vor der noch leeren Bank am linken Ende der Reihe, etwas zurückgesetzt, um ihren leisen Klängen eine bessere Akustik zu geben.
    Franz blickte auf sein Programm. Das Fünfte Brandenburgische Konzert war das Finale. Es gab zwei Pausen. Das erste Stück des Abends war:
     
    Konzert in C-dur für Harfe und Kammerorchester von Giovanni Paisiello
    1. Allegro
    2. Larghetto
    3. Allegro (Rondo)
     
    Saul stieß ihn an. Er blickte auf. Cal war unauffällig auf die Bühne getreten. Sie trug ein weißes, schulterfreies Abendkleid, dessen Ränder sparsam mit schimmernden Pailletten bestickt waren. Sie sagte etwas zu einem der Holzbläser, dann wandte sie sich um und warf einen raschen Blick in den Zuschauerraum.
    Franz glaubte, dass sie ihn bemerkt hatte, war jedoch nicht sicher. Sie setzte sich. Die Lichter erloschen langsam. Applaus klang auf, als der Dirigent auf die Bühne trat und seinen Platz auf dem Podium einnahm. Er blickte seine Instrumentalisten an, klopfte mit dem Taktstock auf das Notenpult und riss ihn mit einer energischen Bewegung empor.
    Saul murmelte fast unhörbar: »Und jetzt, im Namen Bachs und Sigmund Freuds, hau sie zusammen, Calpurnia.«
    »Und im Namen von Pythagoras«, sekundierte Gun genauso leise.
    Die sanften Klänge der Streicher und das dunkle Rufen der Holzbläser hüllte Franz ein. Zum ersten Mal seit den Corona Heights fühlte er sich völlig sicher, zwischen seinen Freunden und in den Armen harmonischer, geordneter Klänge, als ob die Musik ein intimer, kristalliner Himmel wäre, und eine unüberwindliche Barriere für übernatürliche Kräfte.
    Dann klangen die ersten, herausfordernden Töne der Harfe auf, zerrissen den behüteten Schlummer, warfen mit ihren glitzernden, sprudelnden Bändern heller, hoher Klänge Fragen auf und forderten fröhlich und doch unabweisbar Antworten. Die Harfe erzählte Franz, dass die Konzerthalle in jeder Beziehung genauso ein Refugium war wie alles, was man ihm in der Beaver Street angeboten hatte.
    Bevor er wusste, was er tat, jedoch nicht, bevor er sich völlig darüber im klaren war, was er empfand, war Franz aufgestanden und drängte sich nun halb gebückt an Saul vorbei, wobei er sich der Wellen von Schock, Protest und Tadel, die sich von den Zuschauern auf ihn konzentrierten, sehr intensiv bewusst war.
    Er nahm sich nur Zeit, sich zu Sauls Ohr zu beugen und ihm leise, aber sehr deutlich zuzuflüstern: »Sage Cal – aber erst, nachdem sie das Brandenburgische hinter sich hat –, dass ihre Musik mich darauf gebracht hat, eine Antwort auf die ›607 Rhodes‹-Frage zu suchen«, dann drückte er sich seitlich aus der Reihe, die rechte Hand in einer Geste der Entschuldigung erhoben.
    Als er das Ende der Sitzreihe erreichte, blickte er zurück und sah Sauls Gesicht, mit einem intensiv nachdenklichen Ausdruck, den Blick auf ihn gerichtet. Dann schritt er eilig zwischen den feindlichen Sitzreihen den Mittelgang entlang, vorangepeitscht – wie von einer Knute mit Tausenden winziger Diamanten – von den Klängen der Harfe. Er zwang sich dazu, nicht zurückzublicken, und starrte stur geradeaus.
    Er fragte sich, warum er ›die 607 Rhodes-Frage‹ gesagt hatte, anstatt ›die Frage, ob Paramentale real sind oder nicht‹, doch dann erkannte er, dass er es getan hatte, weil Cal sich diese Frage mehr als einmal selbst gestellt hatte und deshalb ahnen könnte, wohin sie führte. Und es war wichtig, dass sie verstand und wusste, dass er dahinter her war.
    Er fühlte sich versucht, einen letzten

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