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Herrin der Dunkelheit

Herrin der Dunkelheit

Titel: Herrin der Dunkelheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fritz Leiber
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den Schlüssel zweimal herum, um das, was ihm vom Dach gefolgt sein mochte, auszusperren.
    Aber war er sicher in seinem Apartment, dessen Fenster zum Schacht jetzt offen stand? Auch wenn es theoretisch unmöglich war, dass jemand eindringen konnte, durchsuchte er Zimmer und Bad noch einmal, und jetzt sogar jeden kleinsten Winkel, jede Ecke in der sich etwas verstecken konnte. Zuletzt durchsuchte er seiner Kleiderschrank und entdeckte auf dessen Boden, an der Rückwand und hinter einem Paar Stiefel, eine ungeöffnete Flasche Kirschwasser, die er dort vor mehr als einem Jahr versteckt haben musste, als er noch trank.
    Er blickte auf das Fenster, auf die braunen Schnitzel alten Papiers, die in seiner Nähe lagen, und versuchte sich vorzustellen, wie es gewesen sein mochte, als de Castries hier gewohnt hatte. Die alte Spinne hatte sicher stundenlang am Fenster gesessen und zu seinem künftigen Grab auf den Corona Heights und dem dahinter liegenden Mount Sutro hinübergestarrt. Hatte er auch den Turm vorausgesehen, der einmal dort stehen würde? Die alten Spiritualisten und Okkultisten waren überzeugt, dass die astralen Überreste eines Menschen, der atomare odische Staub, in den Räumen schwebte, in denen er gelebt hatte.
    Von was hatte die alte Spinne hier sonst noch geträumt? Von seinen Tagen des Triumphs im San Francisco vor dem Großen Beben? Von den Männern und Frauen, die er in den Selbstmord getrieben oder unter verschiedene Drehpunkte geschoben hatte, wo sie erdrückt worden waren? Von seinem Vater (Afrika-Abenteurer oder kleiner Drucker), seinem schwarzen Panther (falls er jemals einen besessen haben sollte), von seiner jungen polnischen Geliebten (oder dem schlanken Mädchen Anima), seiner verschleierten Lady?
    Wenn nur jemand hier wäre, mit dem er reden könnte, der ihn von diesen morbiden Gedanken befreien würde! Wenn nur Cal und die anderen vom Konzert zurückkämen. Aber seine Armbanduhr sagte ihm, dass es erst ein paar Minuten nach neun war. Er konnte kaum glauben, dass die beiden Durchsuchungen seines Apartments und der Besuch des Daches so wenig Zeit in Anspruch genommen hatten, doch seine Uhr ging, der Sekundenzeiger tickte in regelmäßigen, fast unsichtbar kleinen Zuckungen vorwärts.
    Der Gedanke an die einsamen Stunden, die noch vor ihm lagen, ließ ihn verzweifeln, und die Flasche mit dem wasserhellen Versprechen von Vergessen, die er in der Hand hielt, war eine starke Versuchung, doch die Angst vor dem, was passieren mochte, wenn er nicht mehr Herr seiner Sinne und seiner Handlungen war, erwies sich als noch stärker.
    Er stellte die Flasche mit dem Kirschwasser neben den kleinen Stapel von Briefen, die auch noch nicht geöffnet worden waren, und seine Prismen und die Schiefertafel. Er war überzeugt gewesen, dass die Tafel unbeschrieben war, doch jetzt glaubte er undeutliche Kreidezeichen auf ihr zu erkennen. Er nahm die Tafel, ein Kreidestück und eins der Prismen zur Hand und trug alles zum Kopfende des Bettes unter die Lampe, die dort brannte Er dachte daran, die 200 Watt starke Deckenleuchte einzuschalten, doch irgendwie missfiel ihm die Vorstellung, sein Fenster durch helles Licht zu markieren, möglicherweise für einen Beobachter, der auf den Corona Heights lauerte.
    Es waren spinnenwebartige Kreidezeichen auf der Tafel – ein halbes Dutzend mit der Spitze nach unten gerichteter Dreiecke, als ob irgend jemand oder irgend etwas versucht hätte, das schnauzenförmige Gesicht seines Paramentalen mit leichten, kaum sichtbaren Strichen zu stilisieren (vielleicht war die Kreide über die Tafel geglitten wie die Planchette eines Ouija-Brettes). Und jetzt sprangen das Kreidestück und das Prisma auf der Tafel umher, weil seine Hände, welche sie hielten, so zitterten.
    Sein Verstand war von plötzlicher Angst paralysiert – fast abgeschaltet – doch eine noch funktionierende Ecke seines Gehirns überlegte, wie ein weißer, fünfzackiger Stern, dessen einer Zacken aufwärts (oder auswärts) gerichtet war, einen Raum vor dem Eindringen böser Geister schützen konnte (wie es die Hexenbücher behaupteten), als ob die Wesen sich an dem aufwärts (oder auswärts) gerichteten, scharfen Zacken aufspießen würden, und es überraschte ihn kaum, als er sich dabei ertappte, solche fünfzackigen Sterne mit Kreide auf alle Fensterbretter zu malen (des Zimmerfensters und des verschlossenen im Bad) und auch an den Türrahmen. Er kam sich dabei ein wenig albern vor, dachte jedoch nicht einmal daran, auch

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